Taufbefehl?

Matthäus 28,16-20

Gedanken zum 6.Sonntag nach Trinitatis

Manchmal war er ganz verzweifelt, er, der große Martin Luther! Er, dieser „Glaubensheld“, als der er uns geschildert wird. Martin Luther hat ganz schlimme Zeiten durchgemacht. Es gab Stunden, da fürchtete er, auf dem falschen Weg zu sein. Es gab Tage, an denen ihn Todesängste überfielen. Was hat er dann getan? Er nahm ein Stück Kreide und schrieb auf seinen Holztisch: „Ich bin getauft!“ Das stand dann da – und er konnte es immer wieder lesen: „Ich bin getauft!“ Er spürte: das ist das Entscheidende. Vielleicht kam ihm dann auch ein Prophetenwort in den Sinn, das wir häufig bei der Taufe hören: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jesaja 43,1). Das ist auch der Wochenspruch.

Die Taufe: am sechsten Sonntag nach Trinitatis steht sie im Mittelpunkt. Alle Getauften können sich da gegenseitig zum Geburtstag gratulieren! Im Altertum haben Christen ihren Tauftag als Tag der eigentlichen Geburt gefeiert. Er war ihnen wichtiger als der Tag der natürlichen Geburt; es war die zweite, die geistliche Geburt. In manchen Gegenden ist das noch heute so: der Namenstag wird gefeiert, also der Tag, an dem man seinen christlichen Namen bekam, ursprünglich der Tauftag. Wir kennen das bei uns kaum; im Vordergrund steht der Geburtstag. Umso wichtiger dieser heutige 6. Sonntag nach Trinitatis. Er ist Tag der Tauferinnerung, Namenstag, Tag unserer Christwerdung. Er wird geprägt durch einen bedeutenden Text aus dem Neuen Testament: Matthäus 28, Abschluss des Evangeliums: „Gehet hin in alle Welt!“, sagt Jesus da, „taufet“, „lehret“ – und am Schluss die wunderbaren Worte: „… und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“. Ein großes Finale und ein großer Auftakt! Jesus verabschiedet sich endgültig, und die christliche Gemeinde bekommt eine große Aufgabe. Sie soll die Sache Jesu weiter vorantreiben.

Genau das ist seitdem passiert – sonst gäbe es keine christliche Gemeinde. Fast überall auf der Welt wird das Evangelium verkündigt, hier und da im Verborgenen und unter großer Gefahr, häufig frei und offen, so wie bei uns. Das ist die eine Seite der Wirkung, die vom Predigttext ausgeht. Leider gibt es auch eine Schattenseite. „Gehet hin … und taufet!“, das wurde häufig auch als „Marschbefehl“ verstanden. So ordneten Herrscher an, dass ihre Untertanen sich taufen lassen; in den Kolonien wurden Millionen von Menschen gezwungen, sich dem Christentum zu unterwerfen. „Christianisierung“, Hand in Hand mit der Ausplünderung ganzer Kontinente! Manches, was wir heute sehen an Migration, hat darin eine seiner Ursachen. Letztlich fordert man jetzt von uns zurück, was wir uns einst genommen haben – und bis heute nehmen. Es sind die bitteren Früchte unguter Taten.

Unrecht im Namen Jesu Christi! Eine unrühmliche Geschichte, Teil unserer gemeinsamen Vergangenheit – Gott sei´s geklagt. Das kommt dabei heraus, wenn man Bibelstellen aus ihrem Zusammenhang reißt. Man hätte es nachlesen können: Zwang und Gewalt sind nicht die Sache Jesu! Schließlich gibt es im Matthäusevangelium die Bergpredigt! „Selig sind die Friedfertigen“, steht da, und: „liebet eure Feinde!“

Also: kein Missionsbefehl im Sinne eines christlichen Feldzuges, keine Strategie zur Christianisierung der Welt. Es geht um etwas anderes: Jesus ermuntert die damals kleine Christenschar, nicht zu resignieren. Durch ein überzeugendes Leben sollen sie auffallen. Die Menschen sollen aufmerksam werden auf diese so andere Gemeinschaft, weil sie von gegenseitiger Liebe durchdrungen ist. Selbst wenn das nicht 100%-ig gelingt, gilt das Wort Jesu:“Ich bin bei euch!“, das verspricht er. Alles schien dagegen zu sprechen. Die Welt lebte nach anderen Gesetzen. Was Gerechtigkeit ist, das bestimmten die Herrschenden. Es war unendlich schwer, in einer ungerechten Welt nach den Geboten Jesu zu leben. Er hatte seiner Gemeinde eine „bessere“ Gerechtigkeit gepredigt – aber ganz offenbar konnte die sich in der damaligen römischen Welt nicht durchsetzen. Grund zur Resignation?

Die Gemeindeglieder werden sich erinnert haben. Jesus hatte doch immer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht einfach und glatt und problemlos geht. Sie erinnerten sich an seine Gleichnisse. Da war es doch auch so: nicht jedes Korn bringt Frucht, hatte er gesagt – und allen war klar: geht ja auch gar nicht! Schließlich gibt es Dornen und Steine. Und alle hatten doch verstanden: so ist das auch mit dem Reich Gottes. Es ist nie offen sichtbar da. Wir können nie genau wissen, wer dazu gehört und wer nicht, auch nicht wo und wann es erscheint. Aber das ist auch nicht entscheidend, so hatten sie gelernt. Viel wichtiger ist, dass es schon angebrochen ist. Als Jesus da war, konnte man es mit Händen greifen. Und er hatte doch gesagt, dass er bei uns ist und alle Gewalt im Himmel und auf Erden hat. Nicht wir haben diese Macht – er hat sie!

Nur, genau an dieser Stelle gehen viele nicht mit. „Stimmt doch gar nicht!“, wenden sie ein. „Schaut euch doch die Welt an! Die Macht haben ganz andere. Geld regiert die Welt. Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer. Die Gebote werden mit Füßen getreten. Gier und Geiz sind die stärksten Antriebskräfte, nicht Liebe ist es. Der christliche Glaube taugt für Sonntagsreden, aber nicht für die raue Wirklichkeit …“

Ja, das alles wird gern als „Gesinnungsethik“ und „Gutmenschentum“ verächtlich gemacht, was da im Namen Jesu versucht wird. Einsatz für die Ärmsten, Schutz für von Abschiebung Bedrohte, Kirchenasyl… Und es ist auf gewisse Weise tatsächlich so: Jesus war kein Politiker, kein Taktiker, kein Kalkulierer, der Wahlen gewinnen wollte. Er stellte sich radikal auf die Seite der Benachteiligten – und wurde beseitigt durch die Machthaber.

Übermächtig scheinen sie zu sein, die politischen und wirtschaftlichen Kräfte. „Mir ist gegeben alle Gewalt …“ –das klingt so gesehen wie „Pfeifen im Wald“. Der Blick auf die Tagespolitik kann einem die Kraft rauben, das stimmt. Glaube braucht einen langen Atem. Er braucht eine Perspektive. Wie sieht die aus? Nun, irdische Mächte regieren nur eine begrenzte Zeit. Noch jedes Reich dieser Welt ist gestürzt oder einfach verschwunden. Noch jeder große „Führer der Menschheit“ musste abtreten, wurde vergessen oder ins Museum verbannt.

„Mit unsrer Macht ist nichts getan!“, wusste Martin Luther – und da sind wir wieder bei seiner Lebensader: „Ich bin getauft!“ Dieses Wissen war für ihn fundamental. Mit Schrecken hatte er gesehen, wie das Wort Gottes missbraucht wurde: als Ware, als Druckmittel, als Todesurteil. Vielleicht noch schlimmer: auch die von ihm angestoßene Reformation brachte Gewalt hervor: Fanatiker verbrannten Kirchenschätze und Bilder, wollten das „Reich Gottes zu Münster“ ausrufen; Herzöge führten Kriege im Namen der neuen Lehre. „Ich bin getauft!“, rief Luther. Er sah seine Verantwortung für den Lauf der Dinge; gleichzeitig erkannte er: Ich kann es nicht steuern! Ich kann nur darauf vertrauen, dass Gott selber in, mit und unter all diesem Chaos zur Wirkung kommt.

III. Und auch für uns ist das die einzige Antwort. Das Reich Gottes wird sich durchsetzen. Es ist bereits wirksam, mitten unter uns. Wir können zwar nicht sagen: „Genau hier ist es, da ist es…“ Aber keine Macht der Welt kann es daran hindern, sich zu entfalten. Vor fast 2000 Jahren wurde es zur Gewissheit: durch die Worte Jesu, durch seine Bergpredigt, durch seine Zeichen und Wunder, durch seine Leiden, durch seine Auferstehung. „Ich bin bei euch!“ – auch heute hören wir diesen Ausruf. Gott setzt sich durch in dieser Welt, auch gegen die Mächte des Chaos. Was Jesus sagte und tat, erweist sich als wirksam, auch heute. Er heilte Kranke, er holte Außenseiter herein, er machte Kleine groß. Unter dem Einfluss seines Wortes passiert so etwas auch heute. „Ach, wenn du könntest glauben, du würdest Wunder sehn!“

Wie gut, auf den Namen Jesu getauft zu sein. „Ich bin bei dir!“, so ruft er jeder und jedem unter uns zu, ganz besonders am „Tauftag“, dem 6. Sonntag nach Trinitatis. „Fürchte dich nicht!“, es tut gut, diesen Ruf zu hören, gerade dann, wenn es einem nicht gut geht, wenn man sich einsam fühlt oder krank ist, Sorgen hat – mit sich oder anderen: „Fürchte dich nicht, du bist getauft, vertraue auf Gott!“ Vielleicht machen Sie es mal wie Martin Luther. Wenn keine Kreide zur Hand ist, tut es auch ein Filzstift oder ein Lippenstift: schreiben Sie es irgendwo hin: „Ich bin getauft!“ Und pochen Sie darauf, dass das wichtiger und wahrer ist als alles, was Sie bedrängt. Denn das dürfen wir: uns auf unsere Taufe berufen, die Zusage Jesu „einklagen“, ihn drängen, seine Macht zu zeigen. Sagen Sie´s ihm: Ich glaube, dass Du, Gott, mich geschaffen hast, ich glaube, dass Jesus bei mir ist, ich glaube, dass er Macht hat im Himmel und auf Erden!“ So auf Gott zugehen können, so vertrauen können: ein großes Geschenk!

Ist Karfreitag der wichtigste Tag?

Predigt zum Karfreitag .                               

Korinther 514b-21

„Der wichtigste Tag“, sagen manche, Karfreitag! Gerade wir Protestanten heben diesen Tag besonders hervor. Obwohl: da kann doch was nicht stimmen?! Ist nicht das Entscheidende Ostern: Auferstehung. Ohne Ostern wäre Karfreitag doch nichts, wäre das Ende…, aber trotzdem: Wir Evangelischen sind da hartnäckig und bleiben dabei. Karfreitag sticht heraus, ist sogar staatlich besonders geschützt. Das ist nicht überall so, in den katholischen Ländern Italien und Österreich etwa ist das nicht so. Karfreitag steht uns für Entscheidendes! Aber für was? Für Außenstehende erschließt sich das keineswegs! Und wenn Menschen aus anderen Kulturen in der Kirche den Gekreuzigten sehen: das ist alles andere als klar! Im Islam wird das für einen großen Irrtum gehalten. Jesus war ein großer Prophet, sagen die gläubigen Moslems, darum: Gott hätte nie und nimmer zugelassen, dass er am Kreuz stirbt. „Ist Karfreitag der wichtigste Tag?“ weiterlesen

Absolutes Vertrauen

 

Predigt zum 9. Sonntag nach Trinitatis (18. August 2019)

Von vorn anfangen dürfen! Das Leben vor sich haben! Wissen, wozu man da ist! Etwas Schöneres kann es nicht geben. Einen Schlussstrich ziehen unter alles, was vorher war. Sich nicht mehr festlegen lassen auf das, was misslungen ist. Ballast abwerfen.

Ein Traum? Paulus hat ihn erlebt.

„Absolutes Vertrauen“ weiterlesen

Ethisches Experiment

Zum 4. Sonntag nach Trinitatis, 14. Juli 2019

Predigt über Lukas 6, 36-42

  • seid barmherzig
  • richtet nicht
  • verdammt nicht
  • vergebt

So heißt es im Lukasevangelium. Es sind Worte Jesu. Wenn das ein Außenstehender hört, fühlt er sich bestätigt: Ja, ja, wir sollen anständige Leute sein, ist ja irgendwie immer dasselbe, was die da in der Kirche erzählen. Sei ein guter Mensch, Nächstenliebe und so… Das weiß ich auch so; um das zu hören, „muss ich nicht in die Kirche rennen…“. Ja, so ist es! Wenn es nur das wäre, hätten wir als Kirche wenig zu bieten. Lebensweisheiten gibt es heute an allen Ecken und Enden zu lesen; in den Buchhandlungen gibt es ganze Abteilungen: Weisheitsliteratur, selbst im Supermarkt. Wie man leben soll, was man tun und lassen soll, damit es einem gut geht – das ist tausendfach gesagt und gedruckt – auch gepredigt. Der Neuigkeitswert ist gering.

Wer in den Gottesdienst kommt erwartet mehr, zu Recht! Was ist denn eigentlich „das Andere“ am christlichen Glauben? Worin unterscheiden wir uns denn in der Ethik, im Verhalten – tun wir’s überhaupt? „Ethisches Experiment“ weiterlesen

Lust am Predigen

Wie gebe ich Zeugnis von der Hoffnung?

Ein Plädoyer gegen die Selbst-Marginalisierung evangelischer Verkündigung

Das wär`s: sich hinstellen und aus dem Vollen schöpfen. Hoffnung verströmen. Sonntag für Sonntag, alltags – bei welchem Anlass auch immer: Die versammelten Menschen in den Blick nehmen und loslegen, also: von dieser großen und einmaligen Hoffnung sprechen, sie bezeugen, ihre Relevanz erweisen. Selber davon erfüllt sein, so sehr, dass kein Konzept nötig ist. Alles kommt von innen heraus, ist erlebt und erbetet, drängt auf Kommunikation – aus der Überzeugung heraus, der Gemeinde Lebenswichtiges mitzuteilen.

Wer will uns eigentlich noch hören …?!

Zu beobachten ist etwas anderes. Es gibt eine Unlust an der Predigt. Es gibt eine pfarrer- und pfarrerinnen-typische Form des Unglaubens und der Untreue. Es ist die Selbst-Marginalisierung. „Ich muss am Sonntag predigen“, hört man hier und da – ein verräterisches kleines Sätzchen. „Lust am Predigen“ weiterlesen

Das Wesentliche!

Am 31. Oktober ist Reformationstag

„Ecclesia semper reformanda“! – Die Kirche muss ständig erneuert werden. Da sind sich viele einig! Und der Apostel Paulus sagt im 1. Thessalonicher: „Prüft aber alles und das Gute behaltet“: auch hier: großer Konsens! Oder?

Erneuern, das Gute behalten… Das sagt sich leicht hin. Jede und jeder stimmt zu: Klar doch, ist wichtig. Nur: wenn man genau hinschaut: Jede und jeder versteht was anderes darunter! „Das Gute“ – das kann alles Mögliche sein. Für den einen ist eine Sahnetorte was Gutes. Für die andere ein 40-tägiges Fasten… Und „erneuern“?! Auch da versteht jeder was anderes drunter: Das Alte weg… – so sehen es die Einen. Zurück zum Ursprung / das Neue weg – so legen es die anderen aus. „Das Wesentliche!“ weiterlesen

Engel!?

Zum Michaelistag

Hebräer 1, 7.13f und Offenbarung 12, 7-12a

Ich kenne den Namen unseres Briefträgers nicht! Habe nie danach gefragt! Nicht, dass er mir egal wäre! Im Gegenteil: Ich warte manchmal ungeduldig auf ihn und hoffe, dass er bald kommt. Besser gesagt: Ich warte auf das, was er bringt. Briefe, Karten, Päckchen, Geschenke… Manchmal ist das einfach so da: Im Briefkasten, auf der Flurtreppe – ohne, dass ich den Boten gesehen habe. Manchmal begegne ich ihm, am Gartentor, im Hausflur, vor der Wohnungstür: Ich kann gar nicht genau sagen, wie er aussieht. Ich schaue ihm meist nicht ins Gesicht. Ich schaue auf seine Hände: Was er mir bringt – und ich kann es gar nicht abwarten, die Post aufzumachen und die zu lesen. Eines weiß ich aber schon vorher: Die Nachricht stammt nicht vom Postboten. Er überbringt sie nur. Darum ist er für mich wichtig. Aber letztlich: Er vollbringt lediglich eine Dienstleistung für den Absender.

Verstanden? Okay! Das war er, der „Grundkurs Engel“! Wir wissen jetzt, was es mit den Engeln auf sich hat. Ein Engel ist ein Bote. Er handelt ausschließlich im Auftrag Gottes. Und seine Botschaft ist immer etwas, das Gott uns mitteilen will. Und so, wie ich meinen Postboten nicht mit Namen kenne, so kennen wir auch nur wenige Engel mit Namen: Raphael, Gabriel, Michael… Meist aber sind sie namenlos, oder ganze Heerscharen – so wie in der Weihnachtsgeschichte: Alsbald aber war da die Menge der himmlischen Heerscharen. Und was brachten die für eine Botschaft? Klar! „Fürchtet euch nicht! Euch ist heute der Heiland geboren!“ Eindeutige Sache: Das haben sie sich nicht selber ausgedacht, das wissen sie von Gott.

Jetzt der „Aufbaukurs“! „Engel!?“ weiterlesen

Selbst auferlegte Lasten

Gedanken zum 14. Sonntag nach Trinitatis

„Eigentlich“, liebe Gemeinde…, „eigentlich“… „Eigentlich“ will man mit jedermann auskommen. Eigentlich ist man für Frieden und Gerechtigkeit. Eigentlich will man sich um andere kümmern. „Eigentlich“… Aber irgendwie – wenn wir ehrlich sind – bleiben wir immer dahinter zurück. Wir wissen recht gut, was noch zusätzlich ginge, aber … Ja, wir wollen sogar „gut“ sein, aber letztlich gelingt uns das nicht. „Das Gute, das ich will“, schreibt Paulus, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Röm 7, 19). „Eigentlich“ bin ich ein guter Mensch, aber… Nicht schön, ja ärgerlich, das erkennen zu müssen. Eigentlich braucht uns doch keiner zu sagen, was gut und was böse ist. Wir wissen es doch, – und wenn wir uns nur richtig anstrengen, dann werden wir es doch auch schaffen …, eigentlich…

Nein! sagt Paulus. Er unterbricht an dieser Stelle unsere Gedanken. Er geht dazwischen. Hier, wo doch scheinbar die Stärke von uns Menschen liegt. Hier, wo es darum geht, zu planen, zu forschen, seinen Willen einzusetzen, kurz: die Dinge besser zu machen. Hier, wo schlaue Bücher und Methoden ihre Hilfe anbieten, wo die Menschheit scheinbar unaufhaltsam voranschreitet. Genau hier geht der Apostel dazwischen. Aber er fügt den vielen guten Ratschlägen nicht noch einen weiteren hinzu. Er wetteifert nicht mit uns um die klügsten Lebensregeln. Nein, er mischt sich ein mit einem seltsamen Satz.

Dieser Satz heißt: „Wir sind nicht dem Fleisch schuldig, daß wir nach dem Fleisch leben!“. Was meint er damit? Und was meint er mit dem, was er kurz vorher gesagt hatte, nämlich: „Es gibt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“? „Selbst auferlegte Lasten“ weiterlesen

Lieber Gott?

Gedanken zum 13. Sonntag nach Trinitatis

Solche Sätze können einem gefallen: Gott ist die Liebe! Knapp, einfach und schön. Man fragt sich geradezu, warum dieser Satz nicht im Glaubensbekenntnis steht. Treffender kann man es doch gar nicht sagen!

Aber nun haben ja gerade knappe und griffige Formulierungen etwas Zweischneidiges. Sie leuchten zwar ein, aber sie vereinfachen auch, ja, sie können in die Irre führen. Gott ist die Liebe! Wenn das so ist, dann kann man ja wohl diesen Satz auch umdrehen: Die Liebe ist Gott!? Also: überall da, wo Menschen einander liebevoll begegnen, da treffen sie auf Gott selber. Ist das nicht überhaupt der Schlüssel? Erledigen sich damit nicht komplizierte theologische Erörterungen!?

Tatsächlich gibt es ja in der Bibel die Rede davon, dass der Mensch das Ebenbild Gottes sei. Wenn also Gott Liebe ist, dann auch der Mensch. Und in der Tat erfahren wir Liebe durch Menschen. Der Dichter Ernesto Cardenal spricht davon, dass jeder Mensch einen unerschöpflichen Vorrat an Liebe in sich trage, nicht nur die Sehnsucht danach, sondern auch die Fähigkeit dazu. Und mit dieser Liebe verhalte es sich wie mit einem Medikament, das man in der Pillendose mit sich herumtrage: sie muss heraus, muss verteilt und „eingenommen“ werden, sonst kommt sie nicht zur Wirkung. Der riesige Vorrat an Liebe kann zur Last werden, die drückt und die auf die Suche treibt nach dem, was wir in Wahrheit selber in uns tragen: „Wir selber sind dem Wesen nach Liebe, denn wir sind Ebenbilder Gottes und Gott ist Liebe.“

„Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. Scheinbar wird uns hier so etwas wie ein Rezept gegeben zum glücklichen Leben. Offenbar muss man es nur richtig anstellen, muss an der Liebe dranbleiben, dann geht es einem gut.

Nur: das wird ja vom Leben dauernd widerlegt. „Lieber Gott?“ weiterlesen