Singen verboten!

500 Jahre evangelisches Gesangbuch: Sonderbriefmarke

Ja, das ist dem einen oder anderen Anhänger Martin Luthers passiert, damals vor 500 Jahren. Fröhlich sang er ein Lied des Reformators auf dem Marktplatz – und schon schnappte ihn die Polizei und steckte ihn ins Stadtgefängnis. Solche Szenen sind aus einigen Städten überliefert. Singen verboten! Warum? Die Lieder Martin Luthers waren vom Text her Verkündigung des Evangeliums, also Predigt. Predigen aber durften nur die Geistlichen. Gesungen wurde nur im Gottesdienst oder auf Wallfahrten – alles streng reglementiert und fast nur auf Latein. Da aber die meisten Christen gar kein Latein konnten und sie gar nicht verstanden, was sie da sangen, machten sich die Reformatoren darüber lustig: „Sie brüllen wie die Waldesel zu einem tauben Gott!“

Und sie brachten ihre geistlichen Lieder unter das Volk, zunächst gedruckt auf einfachen Zetteln, die man heute „Einblattdrucke“ nennt. 1524 kam dann ein schlauer Drucker darauf, acht dieser Lieder zu einem Heft zu bündeln. Manche nennen das bereits „Liederbuch“ – allerdings fehlten dieser Sammlung die typischen Merkmale eines Buches: Vorwort, gegliederter Inhalt, Register, Impressum. Ein erstes Gemeinde-Gesangbuch war dann 1524 das Erfurter Ferbefaß-Enchiridion. Das hat seinen Namen daher, dass es in Erfurt gedruckt wurde – und zwar im Haus mit dem Namen „Zum Ferbefaß“ – und dass es handlich war. 28 reformatorische Lieder sind darin abgedruckt, 18 davon von Martin Luther. Der wusste übrigens gar nichts davon, dass man in Erfurt seine Lieder druckte. Bis heute singen wir zahlreiche dieser Lieder im Gottesdienst. Und fünf davon haben es sogar in das aktuelle katholische Gesangbuch „Gotteslob“ geschafft, z.B. „Gelobet seist du, Jesu Christ“ und „Aus tiefer Not schrei ich du dir“. Erst 1537 zog die katholische Seite übrigens mit einem ersten eigenen Gesangbuch nach.

Vom „Ferbefaß-Enchiridion“ gibt es heute nur noch ein einziges Exemplar – und das befindet sich in Goslar. Seit 1535 ist es Bestandteil der Marktkirchen-Bibliothek, in der es erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts „entdeckt“ wurde. Das Bundesfinanzministerium gibt zu Ehren des 500. Jubiläums eine Sonderbriefmarke heraus. Diese wird am

23. Januar 2024 um 17 Uhr in der Marktkirche Goslar

präsentiert. Ich werde am 21. April anlässlich einer „Sonntagsvorlesung“ das einzigartige Stück in der Lutherstadt Wittenberg vorstellen.

 

Probelauf für eine „Teaching Library“

Goslarsche Zeitung 6. Juli 2022

Von Elke Brummer

Top-Bewertungen haben Oberstufenschülerinnen und -schüler kürzlich einem Schülerseminar in der Marktkirchenbibliothek (MKB) auf dem Goslarer Kulturmarktplatz gegeben, nachdem sie in den Genuss desselben gekommen waren.

Goslar. „Fünf von fünf Sternen“, „große Auswahl“, „engagierte Organisatoren“:  Wer glaubt, dass es sich bei diesen Statements um Bewertungen für Urlaub im Luxus-Hotel oder Internet-Käufe handelt, irrt.  Die Bewertungen stammen von Oberstufenschülerinnen und -schülern und gelten einem Schülerseminar, das kürzlich in der Marktkirchenbibliothek (MKB) auf dem Goslarer Kulturmarktplatz veranstaltet worden war.

Die Idee für das Seminar stammt von zwei Männern, denen sowohl die lebendige Zukunft der mittelalterlichen Bibliothek als auch die Bildungsgrundlagen junger Menschen am Herzen liegen: Helmut Liersch, Propst im Ruhestand, MKB-Beauftragter und damit gewissermaßen Spiritus Rector des historischen Bücherschatzes. Und der Pädagoge Wilfried Seyfarth, der seit Mitte der Achtziger Jahre Schülerseminare in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und seit 2006 in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek Weimar realisierte.

Großes Potenzial

Der seit 2019 pensionierte und in Goslar lebende Oberstudienrat stellt seinen reichen Erfahrungsschatz jetzt ehrenamtlich in den Dienst der MKB. Seyfarth ist begeistert von den Buchbeständen und sieht großes Potenzial dafür, dass hier eine „Teaching Library“ entstehen kann. Wie so eine „lehrende Bücherei“ funktioniert, probierten in der vergangenen Woche 13 Elftklässler des Ratsgymnasiums mit ihren Lehrern Antonia Langlotz und Sebastian Skorzinski praktisch aus.

Themen wie „Historische Karten im Vergleich“, „Amazonen, El Dorado und kopflose Wundergestalten“ oder „Reformation und digitale Medienrevolution“ standen zur Auswahl. Ein breit gefächertes Angebot von Originaltexten und eigens für diesen Zweck angeschaffter Sekundärliteratur gestaltete die Arbeit der Schüler interessant, aber ungewohnt. „In der Schule ist das einfacher, da suchen die Lehrkräfte die passende Literatur für uns aus“, kommentierte eine Schülerin.

Und benannte mit dieser Erfahrung zielsicher eines der Hauptanliegen des Seminars. Denn die grenzenlose Verfügbarkeit von Informationen aus einer Flut teils fragwürdiger Quellen fordert Kompetenzen, für die junge Köpfe kritisch und kreativ denken müssen. Dass beim selbstbestimmten Umgang mit den Medien des 21. Jahrhunderts Schriften aus dem 16. Jahrhundert einen wichtigen Beitrag leisten, scheint dabei nur auf den ersten Blick paradox. Gerade die in der MKB gesammelten Zeugnisse der Reformation und des Epochenumbruchs um 1500 bieten eine einmalige Chance dafür.

Ein besonderer Zauber

Die Auseinandersetzung mit den Gedanken unserer Vorfahren bietet Stoff für unterrichtsbegleitende Seminare und Facharbeiten und sorgt für reichhaltigen Erkenntnisgewinn. Dabei entfalten alte Bücher aus Pergament, Holz und Leder einen besonderen Zauber, dem man sich kaum entziehen kann.

Die Schülerseminare, die das Duo Seyfarth/Liersch für die Zukunft geplant hat, bauen diesen „Zauber“ geschickt ein: Die Präsentation historischer Drucke und die Exkursion durchs mittelalterliche Goslar mit Ute Pötig und Dietrich Zychla machen Schulunterricht zum echten Erlebnis. Und dass es dafür am Ende fünf Sterne gibt, ist wahrlich kein Wunder.

Schaudepot der Marktkirche öffnet!

 

 

Kulturmarktplatz:

Die reformationszeitliche Marktkirchen-Bibliothek ist eingezogen

http://www.marktkirchenbibliothek-goslar.de

Es war der fünfte Umzug der Marktkirchen-Bibliothek. Am 5. November 2021 transportierten Mitglieder des Fördervereins und des Kirchenvorstandes die wertvollen Altbestände vorsichtig in den entstehenden Kulturmarktplatz (KUMA). Dort sind die Bände nun im Eingangsbereich in einem begehbaren Schaudepot untergebracht. Die weiteren Bestände werden im neuen Stadtarchiv in einem Büchermagazin gelagert, sobald der entsprechende Trakt bezugsfertig ist. Dort wird es auch einen Arbeitsraum für den mit der Bibliothek Beauftragten geben. Ein Depositalvertrag mit der Stadt Goslar regelt, dass die Bestände nun im „Besitz“ der Stadt sind, jedoch im „Eigentum“ der Kirchengemeinde bleiben. „Schaudepot der Marktkirche öffnet!“ weiterlesen

Eine kurze Geschichte der Goslarer Reformation

Ein Beitrag zum Reformationstag

Goslar zählt zu den traditionsreichsten Städten Norddeutschlands. Die monumentale Kaiserpfalz zeugt von der historischen Bedeutung. Goslar war Mitglied der Hanse und erhielt 1290 den Status einer „Freien Reichsstadt“. Die mittelalterliche Altstadt ist bis heute weitgehend erhalten. Sie zählt mit dem Bergwerk Rammelsberg und der Oberharzer Wasserwirtschaft zum UNESCO-Weltkulturerbe. „Eine kurze Geschichte der Goslarer Reformation“ weiterlesen

Hohes Lob für Buch über die Marktkirchen-Bibliothek

Als ein Werk auf „wissenschaftlich hohem Niveau“ wertet das digitale Rezensionsorgan IFB das Buch über die Marktkirchen-Bibliothek Goslar. Es erschien 2017 im Verlag Schnell und Steiner. „Anschaulich und wissenschaftlich fundiert“ würden Erkenntnisse der frühen Reformationsgeschichte an eine breite Öffentlichkeit vermittelt. Herausgeber und Verlag hätten ein „großartiges und ästhetisch ansprechendes Buch“ geschaffen, „ein Muß für jeden, der an der Buchgeschichte der frühen Reformationszeit interessiert ist“. Zur Rezension!

Klick ins Buch: https://www.schnell-und-steiner.de/artikel_9002.ahtml

Neue website für die Marktkirchen-Bibliothek!

Neuerdings sind Informationen über die Marktkirchen-Bibliothek Goslar auch über die Adresse www.marktkirchenbibliothek-goslar.de zu erhalten.

Die Seite verbirgt sich auch hinter dem QR-Code, der auf einer Plakatwand in der Innenstadt angebracht ist:

Es handelt sich um eine Aktion des Fördervereins Marktkirchenbibliothek und der Propstei Goslar. Das Banner zeigt im Hintergrund den ursprünglichen Bibliotheksraum von 1535, der auf dem obigen Foto in der Bildmitte auch im Original (von außen) zu sehen ist. Auf vier Bildfeldern sind außerdem einige Kostbarkeiten der Bibliothek abgebildet. Ein weiteres Bild zeigt das geplante Schaudepot im enstehenden Kulturmarktplatz.

1518: Jetzt geht´s erst richtig los!

In Goslar herrscht die Ruhe vor dem Sturm

Schon wieder das Thema Reformation? Schon wieder Martin Luther? Das hatten wir doch im vergangenen Jahr bis zum Abwinken! Kann man so sehen… Was aber nicht zu leugnen ist: Die kommenden Jahre bringen ein wichtiges 500. Jubiläum nach dem anderen – und zunehmend hat das mit Goslar zu tun. Reformation ist kein punktuelles Ereignis, sondern ein fortlaufender Prozess. Schon gut zehn Jahre nach Luthers Thesen setzt sich die Reformation in der Kaiserstadt weitgehend durch: 1528.

Zwei der frühesten Flugschriften überhaupt sind derzeit in der Marktkirche Goslar ausgestellt. 1518 lieferten sich Luther und Tetzel eine öffentliche Auseinandersetzung.

Ausgangspunkt war bekanntlich der 31. Oktober 1517 in Wittenberg. Martin Luther, der Professor in der Mönchskutte, hatte kurze Sätze in lateinischer Sprache verfasst und damit die Gelehrten zur Diskussion aufgefordert. Es ging um ein theologisches Spezialthema: Welche Wirkung haben die sogenannten „Ablässe“? Unter den Gläubigen jener Zeit war der Eindruck erweckt worden, damit würden die Sünden erlassen. Das war – auch gemäß der offiziellen Auffassung – keineswegs der Fall. Lediglich die von einem Beichtvater auferlegten Strafen konnten damit vermieden werden.

Die Gelehrten und die geistliche Obrigkeit ließen sich durch Luthers Vorstoß nicht zur Debatte locken. Statt dessen wurde er zu seiner Verwunderung in Rom angeschwärzt. „1518: Jetzt geht´s erst richtig los!“ weiterlesen

Goslarsche Zeitung über das neue Buch

 

Autor: Sabine Kempfer

Helmut Liersch veröffentlicht GZ-Reihe zur Reformation als Buch

Liersch holte Vergessenes und Unbekanntes aus der Zeit der Reformation ans Tageslicht und veröffentlichte historisch fundierte, kurzweilig geschriebene Zeitungsartikel, die viele Fans fanden. Daraus machte Goslars Ex-Propst jetzt ein Buch. Foto: Kempfer

Goslar. Signalrot leuchtet es Bücherfreunden im Schaufenster entgegen: „Reformation!“ Helmut Liersch hat ein neues Buch unter diesem Titel herausgegeben. Lesern der GZ mag der Inhalt bekannt vorkommen: Goslars ehemaliger Propst ist einem vielfach geäußerten Wunsch nachgekommen und hat seine Zeitungsbeiträge zur Reformation zusammengetragen.

„26 überraschende Einblicke mit historischen Fakten aus Goslar“ lautet der Untertitel des Buches; wer die eine oder andere Folge im Reformationsjahr verpasst hat, kann sich nun die ganze Serie auf einmal nach Hause holen. Der im Untertitel schon anklingende „Überraschungsfaktor“ macht die Betrachtungen von Liersch so lesenswert: Die sorgfältig recherchierten historischen Fakten werden auch unterhaltsam dargestellt, Lierschs Lust am Kuriosen bricht sich hier mit Augenzwinkern Bahn.

26 Geschichten mit aktuellen Themen

Das Leben schreibt oft die besten Geschichten – aber es muss jemanden geben, der sie entdeckt und erzählt. So geschehen. Wer sich eine der 26 Geschichten vornimmt, deren Themen heute noch von Belang sind, kann davon ausgehen, viel über Goslars Geschichte zu erfahren, und dabei blendend unterhalten zu werden. Es geht um Bildung, soziale Gerechtigkeit, Bedeutung von Hierarchien, Fragen der Macht. Da werden Luthers Kampf für bessere Schulen und der gewaltsame Streit um die Wahrheit thematisiert, es geht um „Geschichtsklitterung“ im historischen Rathaus, um „Luther-Bashing“, gefährliche Dienstreisen oder den „Zoff in Goslars Bildungselite“ – schon die Überschriften regen zum Lesen an. „Ich habe versucht, in jedem Artikel etwas Neues zu bringen“, verrät Liersch seinen Ehrgeiz. Der Autor nahm alte Bezüge aus den GZ-Artikeln heraus, fügte neue Bilder hinzu, überarbeitete alles und machte ein attraktives Buch mit 120 Seiten daraus.

Das Titelfoto zeigt Prof. Ulrich Bubenheimer, mit dem Liersch bei gemeinsamen Studien in Goslars Marktkirchenbibliothek viele neue Fakten über die Reformation ans Tageslicht brachte. Bubenheimers „kriminalistischer Spürsinn“ steckte ihn an. Das Buch ist für 14 Euro in allen GZ-Geschäftsstellen und im Goslarer Buchhandel erhältlich.