Neue website:
http://www.marktkirchenbibliothek-goslar.de
Herkunft, Inhalt und Bedeutung der Marktkirchen-Bibliothek Goslar:
Goslarsche Zeitung vom 20. Januar 2018: (von Sabine Kempfer):
Restauriertes Messbuch erzählt Geschichte(n)
Marktkirchen-Bibliothek Goslar: Beiträge zur Erforschung der reformationszeitlichen Sammlung
304 Seiten, Schnell & Steiner, 23. März 2017
ISBN-10: 3795430321, ISBN-13: 978-3795430320
Blick ins Buch: https://www.schnell-und-steiner.de/artikel_9002.ahtml
(bei Amazon ansehen)
Rezension: http://www.informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/showfile.php?id=9817
Stimmen zum Buch
„Ein wundervolles Buch über die Marktkirchen-Bibliothek, … ein wirklich großer Wurf…“
Dr. Falk Eisermann, Referatsleiter, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Gesamtkatalog der Wiegendrucke / Inkunabelsammlung
„In dem Band sind nicht nur die Schätze der Bibliothek auf höchstem wissenschaftlichen Niveau vorgestellt, sondern das Buch ist selbst ein Schatz und ragt aus der Fülle der gegenwärtigen reformationsgeschichtlichen Veröffentlichungen deutlich heraus.“
Dr. Inge Mager, em. Professorin für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Universität Hamburg
„Das Buch ist grafisch von ausgesuchter Qualität… Das Werk darf schon heute als vorbildlich für die Erforschung kleinerer Bibliotheken gelten.“
Günter Piegsa, 1. Vorsitzender des Geschichtsverein Goslar e.V.
„Eindrucksvoll wird die zugrundeliegende Forschungsmethode deutlich: die Auswertung der Spuren an den Bänden, die aus Lagerung, Transport, bibliothekarischer Bearbeitung und Lektüre resultieren.“
Birgit Hoffmann, Landeskirchenarchivrätin in Wolfenbüttel
„Eine großartige Publikation, genaue Forschungen, wunderbare Bilder!“
Dr. Wolfgang Sommer, em. Professor für Kirchengeschichte an der Kirchlichen Hochschule Neuendettelsau
„Eine eindrucksvolle Dokumentation des Forschungsstandes, die geradezu vorbildhaft für vergleichbare Unternehmungen in anderen bibliothekarischen Institutionen sein dürfte.“
Dr. Michael Ludscheidt, stellv. Kurator / Bibliotheksleiter der Bibliothek des Ev. Ministeriums im Evangelischen Augustinerkloster zu Erfurt.
Goslar profitiert vom reformationszeitlichen Netzwerk –
Zur Vorgeschichte der Marktkirchen-Bibliothek
Die Reformation wurde entscheidend vorangebracht durch soziale Netzwerke. Man traf sich zum Beispiel in „Humanistenzirkeln“ wegen gemeinsamer Interessen hinsichtlich neu aufgetauchter Literatur. Auch das Studium an einer modernen Universität wie der 1502 gegründeten in Wittenberg brachte Menschen aus verschiedenen Städten zusammen. Man schrieb sich Briefe, tauschte Bücher und aktuelle Flugschriften aus und bildete sich so eine Meinung über die neuesten Entwicklungen. Man besuchte sich gegenseitig und disputierte in kleinen Zirkeln oder öffentlichen akademischen Veranstaltungen über die Themen der Zeit. Martin Luthers Entwicklung etwa wäre nicht denkbar ohne den ständigen Austausch mit den Gelehrten seiner Zeit wie Karlstadt, Müntzer, Melanchthon oder Bugenhagen, aber auch Gästen aus ganz Europa.
Neben diesen „großen Namen“ gab es auch weniger bekannte: Zahllose Priester, Mönche, Kleriker und Bürger waren auf der Suche nach der Wahrheit, Fernhändler, Buchverkäufer und Handwerker vernetzten die Städte miteinander. So war das auch im Gebiet des nördlichen Harzes. Die Arbeit an der Marktkirchenbibliothek Goslar in den vergangenen Jahren hat solche Personen und ihre Beziehungen zueinander eindrucksvoll ans Licht gebracht. An ihrem Beispiel lässt sich zeigen, wie unterschiedlich die Lebensentscheidungen der Menschen damals waren – und wie gefährlich es sein konnte, sich offen als Anhänger Luthers zu „outen“.
Ursprünglich gehörten viele der jetzt in Goslar stehenden Bücher zu einer Privatbibliothek in Halberstadt. Ein dortiger Notar und Kleriker hatte sie gesammelt: Andreas Gronewalt. Er lebte und wirkte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Gronewalt kaufte eifrig Flugschriften von Anhängern und Gegnern der Reformation: Die Sache interessierte ihn – und manches erschien ihm plausibel, was man seinen handschriftlichen Eintragungen entnehmen kann. Er hielt Kontakt mit anderen Gelehrten, die ebenfalls gespannt verfolgten, was sich in Wittenberg und in anderen Städten des Reiches tat. Dazu gehörte vor allem der Halberstädter Propst des Augustinerstiftes St. Johannis: Eberhard Weidensee. Inspiriert von der Aufbruchsstimmung seiner Zeit gründete er eine gelehrte Schule in Halberstadt, an der auch Griechisch und Hebräisch unterrichtet wurden. Das war so selten und attraktiv, dass Pädagogen aus den umliegenden Städten – etwa Braunschweig und Goslar – mit ihren Schülern zeitweise dorthin zogen, um zu lernen. Auch auf diese Weise breitete sich das reformatorische Netzwerk aus.
Weidensee lehnte sich mit seiner Schule und mit lutherischen Predigten „weit aus dem Fenster“. Das führte 1523 zu Gefangennahme und Flucht. Weidensee wandte sich seitdem völlig der evangelischen Sache zu. Er war einer der entscheidenden Reformatoren von Magdeburg und von Nordschleswig, bis er schließlich 1533 der dritte Superintendent von Goslar wurde. Gronewalt dagegen, sein Gesprächspartner aus Halberstädter Zeiten, blieb in seiner Stadt. Dort, im Einflussbereich von Kardinal Albrecht, war es extrem gefährlich geworden, sich als Anhänger Luthers zu zeigen oder nur eine seiner Schriften zu besitzen. Es kam zu Gewaltexzessen gegen Verdächtige. Gronewalt, der 1521 noch Melanchthon persönlich in Wittenberg begegnet war, hielt sich mehr und mehr zurück und blieb Zeit seines Lebens Katholik.
Die Verbindung zu Weidensee blieb dennoch bestehen, was etwa durch Buchgeschenke nachzuweisen ist: Eine interkonfessionelle Verbindung! Goslar verdankt diesem frühreformatorischen Netzwerk die wesentlichen Bestände seiner Marktkirchen-Bibliothek. Gronewalt ließ 1535 die meisten seiner Bücher von Halberstadt nach Goslar bringen. In seiner Heimatstadt war ihr Besitz gefährlich, in Goslar brauchte sein Freund Weidensee dringend eine moderne Bibliothek. Er ließ dafür einen Anbau an die Marktkirche errichten: Wohl die erste evangelische Bibliothek überhaupt.
Helmut Liersch