Lust am Predigen

Wie gebe ich Zeugnis von der Hoffnung?

Ein Plädoyer gegen die Selbst-Marginalisierung evangelischer Verkündigung

Das wär`s: sich hinstellen und aus dem Vollen schöpfen. Hoffnung verströmen. Sonntag für Sonntag, alltags – bei welchem Anlass auch immer: Die versammelten Menschen in den Blick nehmen und loslegen, also: von dieser großen und einmaligen Hoffnung sprechen, sie bezeugen, ihre Relevanz erweisen. Selber davon erfüllt sein, so sehr, dass kein Konzept nötig ist. Alles kommt von innen heraus, ist erlebt und erbetet, drängt auf Kommunikation – aus der Überzeugung heraus, der Gemeinde Lebenswichtiges mitzuteilen.

Wer will uns eigentlich noch hören …?!

Zu beobachten ist etwas anderes. Es gibt eine Unlust an der Predigt. Es gibt eine pfarrer- und pfarrerinnen-typische Form des Unglaubens und der Untreue. Es ist die Selbst-Marginalisierung. „Ich muss am Sonntag predigen“, hört man hier und da – ein verräterisches kleines Sätzchen. Weit verbreitet ist es, dieses Gefühl, ein fremdes Werk zu tun. Es ist genau das Gegenteil der ανάγκη[1], des Zwanges, von dem Paulus sprach: dieses Gefühls, dieser Gewissheit, unbedingt predigen zu müssen, eben weil es um alles geht. Sicher spielen bei der heutigen Krise auch andere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel die Zahlen. Vor fünf oder sechs Personen predigen: das hakt. Und sich am Samstag hinsetzen, stundenlang, um vielleicht wieder nur die zehn gleichen zu erreichen: das macht mürbe. Mein Respekt allen, die dran bleiben! Aber es hat auch mit der Gesamtentwicklung zu tun: Die lauten, mächtigen Botschaften kommen woanders her: von den „global players“, von den Medien, der großen Politik. Bilder statt Worte.

Was soll da noch unsere fleißig erarbeitete Sonntagspredigt? Rechtfertigung aus Glauben, noch mal und noch mal entfaltet?! Kostet Zeit, die der Familie weggenommen wird – und außerdem gibt’s das besser und schneller im Internet. – Ja, mehr noch! Da ist das Gefühl, thematisch insgesamt schief zu liegen! Vielleicht haben ja doch die Kritiker Recht: Ihr mit eurer Trinität, eurem Christus, eurer Rechtfertigung … Ist die Wissenschaft inzwischen nicht meilenweit entfernt von dem, was wir da predigen: Schöpfung, Erlösung? Und ist es vielleicht doch nur Vertröstung, was ich da am Sarg predige? Schlimmer noch: glaube ich das alles selber, was die Angehörigen da so von mir zu hören bekommen? Wie ein Krebsgeschwür: die Ahnung, ich arbeite an etwas Absurdem mit, etwas Hohlem, nur Behaupteten. Okay, ich werde bezahlt dafür, aber immer schlechter – und ich habe keine rechte Alternative. Auf was habe ich mich da nur eingelassen?! – Selbstmarginalisierung! Sie frisst nach innen hinein und raubt die Kräfte. Und sie wird sichtbar nach außen: taumelnde Kirche, ohne Selbstbewusstsein! Wir sind ihre leibhaftigen Repräsentantinnen und Repräsentanten! Und je mehr die anderen merken, was mit uns los ist, desto weniger kommen sie. Und je weniger sie kommen, desto weniger Lust habe ich. Ein Teufelskreis! Wo bitte geht’s raus?

Erste Antwort: dringend nötig ist eine Re-Zentrierung der Predigt. Sie muss mental und faktisch wieder stärker ins Zentrum rücken. Predigt ist notwendige öffentliche Rede. Es geht darum, Position zu beziehen.

Authentizitäts-Bremsen

Nun steht aber protestantische Theologie in der Gefahr, aus der Negation zu leben. Sie betont gern, was Gott nicht ist. Sie kann hundert Beispiele dafür nennen, was Erlösung nicht ist. Sie ist groß darin, Begeisterung kritisch zu hinterfragen. Sie legt gern ausführlich dar, was die Hörenden keinesfalls zu erwarten haben. Verkündigung aber ist im Kern nicht Negation, sie ist Position. Sie wirbt, sie überzeugt, sie rüttelt auf. Sie vollzieht sich auch weniger als Informationsbeitrag und als Belehrung; sie ist Zuspruch, direkte Anrede, unmittelbare Applikation von Gesetz und Evangelium. Damit das funktioniert, muss Verkündigung raus aus dem „abgesicherten Modus“ der objektiven Sprache, der verfestigten Begrifflichkeit – hin zum authentischen Wort hier und jetzt. Zu meinem Wort! Nichts kommt besser rüber als das, was ich mir selber erarbeitet, wofür ich selbst gekämpft und womöglich gelitten habe[2]. Aber bitte nicht alles! „Selektive Authentizität“ heißt die Devise. Ich muss nicht gleich meine ganze Lebens-Story ausbreiten. Das „Ich“ in der Predigt kann sehr schräg rüberkommen. Besonders, wenn man erzählt, wie einem beim ersten Lesen der Text noch fremd vorkam – „aber als ich dann genauer hinschaute“ etc: bitte so nicht! Wirksam ist der als tragfähig erlebte eigene Glaube, das persönliche Zusprechen von selber Empfangenem. „Ich glaube, darum rede ich“, schreibt Paulus[3].

Warum passiert das so wenig? Es gibt „Authentizitäts-Bremsen“! Etwa: alles zu vergessen, was mich selber einmal zum Fragen, zum Hören, zum Glauben gebracht hat: wo ist das geblieben? Halte ich es für abgetan? Ich könnte dadurch doch andere besser verstehen und ansprechen! – Eine andere Bremse ist es, alle natürlichen Empfindungen und Angänge als unzureichend zu empfinden, – „irdisch“, „nur“ menschlich – und sie durch dogmatische Formulierungen zu ersetzen, die kaum jemand etwas sagen. – Eine weitere Bremse ist die Orientierung an Vorbildern und „großen Meistern“ – und an Methoden im engeren Sinn. So sprechen wie andere: das hindert daran, die eigene Sprache, den eigenen Gestus, das eigene Thema zu finden. Gut, dass es Pastoralpsychologie gibt! Die kann helfen, sich zu finden.

Und es gibt auch eine ungewollte Authentizität. Darüber ist in Seelsorge-Trainings und in tiefenpsychologisch orientierten Predigtgesprächen viel zu erfahren. „Wenn ich das Hadern in mir selbst nicht wahrhaben will, werde ich gegen das Hadern predigen“ – und die Gemeinde wird denken: ausgerechnet der muss so reden. „Verdrängung schafft latente Aggression“[4], so haben wir gelernt – und die „theologische Manifestation der Verdrängung in der Predigt“ ist die Gesetzlichkeit[5]  – und die ist das Letzte, was evangelische Verkündigung braucht!

Theologie als „homiletische Bremse“

Eine ganz besonders wirksame Bremse scheint protestantische Theologie als solche darzustellen. „Gottes Wort ist auf die Glaubwürdigkeit seiner Zeugen nicht angewiesen“, heißt es sinngemäß in CA VIII [6]; und die Apologie verdeutlicht: „Also ist auch Judas zu predigen gesendet“[7]. Wir verstehen, was gemeint ist: wenn es an uns Menschen läge, wäre es schlimm – mit der Bedingungslosigkeit der Gnade steht und fällt die Kirche. Angesichts der mittelalterlichen Werkgerechtigkeit war das eine notwendige Korrektur. Aber wir brauchen gar nicht so weit zurück zu gehen. Die Dialektische Theologie bezog geradezu ihr Feuer aus der Abwehr aller menschlichen Versuche, die Kluft zwischen Gott und Mensch zu überwinden. Wie kann der Mensch als das schlechthin Widergöttliche je Bestandteil im Heilswirken Gottes sein?! Basta!

Es sind letztlich Missbrauchs-Erfahrungen, die solche steilen Theorien provoziert haben. Sie sind also entgegen ihrem Selbstanspruch sehr wohl situationsbedingt. Die Instrumentalisierung der Kirche im Kaiserreich hatte dazu herausgefordert, alles zu hinterfragen, was auf angeblich natürliche Weise zur Gottesfrage führt. Mit Eifer wurden theologische Systeme entwickelt, welche die Diastase Gott – Mensch zum entscheidenden Punkt machen. Im 3. Reich hatte das geholfen, einen Standpunkt gegen die widergöttliche Anmaßung zu beziehen. Daher dürfen wir übrigens dieses Erbe auch nicht unterschätzen. Im Gegenteil: es ist von Fall zu Fall zu aktivieren! Zum Beispiel, wenn sich weltliche Herrscher in ihren politischen Entscheidungen direkt auf Gott berufen. Die Unterscheidung zwischen Gott und falschen Göttern muss immer neu vollzogen werden. Prophetische Rede eben – und die darf nicht auf Erfolg bei der Masse schielen.

Aber: diese stete Wachsamkeit darf nicht zu dazu führen, dass alle Brücken abgebrochen werden. Theologie darf nicht als „homiletische Bremse“ wirken! Thurneysen hatte noch gefordert: Man soll es spüren, „dass der Prediger nicht in eigener Sache redet“[8]. Leider haben sich zu viele dran gehalten. Allerdings wohl nicht an das, was gemeint war! Natürlich darf ich nicht darauf verzichten, die Gemeinde erreichen zu wollen! Es fällt ja auf, dass die Praxis von Barth und Thurneysen durchaus nicht deckungsgleich mit ihren steilen Theorien war. Obwohl Barth jede „Methodik“ abgelehnt hatte, gab er ausgefeilte methodische Hinweise zum Erstellen einer Predigt. Und wer in Thurneysens eigenen Seelsorge-Protokollen den berühmten „Bruch“ im seelsorgerlichen Gespräch sucht, wird nicht fündig.

Glaubwürdigkeit

Theoretisch wahr ist: „Prinzipiell ist die Verkündigung … nicht auf die Glaubwürdigkeit des Predigers angewiesen“, praktisch aber ist sie es in jedem Augenblick“[9]. Die Predigthörenden wollen ja „nicht nur der Predigt, sondern auch dem Prediger“ und der Predigerin „glauben können“[10] Man schaue sich nur einmal an, wie Paulus auf die Wirkung seiner eigenen Person reflektiert, etwa im 2. Korintherbrief! Und die Kommunikationsforschung gibt ihm Recht. Meinungsänderung – das ist das schwerste Vorhaben, dem sich eine Rednerin, ein Redner stellen kann. Und sie findet nur dann statt, wenn Hörerin bzw. Hörer ein stabiles und positives Bild von der redenden Person haben.[11] Oder mit Luther – und einfacher: Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz!

Es ist also an der Zeit, der eigenen Sache und der eigenen Person gewisser zu werden. Das geht nicht auf Zuruf. Auch für Verkündigende gilt, dass Glaube ein Geschenk ist. Deshalb muss er zu allererst erbeten sein. Und wer festen Glauben hat, möge ihn teilen, dass er sich vermehre, möge beten für andere, denen es im Moment nicht so gut geht.

Über diesen rein geistlichen Zugang hinaus gibt es aber noch etwas. Die Marginalisierungs-Tendenz muss gebrochen werden. Und da muss neben der persönlichen Verunsicherung ein weiteres Handicap überwunden werden. Offenbarungsreligionen haben eine Art Achillesferse. Sie grenzen sich ab gegen „natürliche“ Religion. Sie sind damit verwundbar genau da, wo sie sich eigentlich gehalten fühlen. Sobald wir unseren Glauben als etwas darstellen, das dem Verstand nicht zugänglich ist – sondern offenbart -, setzen wir uns der Kritik aus, ja, dem Gespött. Man gibt uns zu verstehen, dass wir etwas spinnert seien, irgendwie von gestern. Gern werden bekennende Christen als Sonderlinge hingestellt – und wir ziehen uns das viel zu oft an! Die Folge: wir machen Abstriche, wir simplifizieren unsere Botschaft. Simplify your life! Alles wird gut! Unser Selbstverständnis ist aber doch anders! Glaube ist zwar nichts „Logisches“ im Sinne einer Ableitbarkeit. Aber Glaube ist etwas „Sinnvolles“ im Sinne einer Haltung den großen Fragen des Lebens gegenüber! Wir befassen uns also mit dem Zentralen – und sind auch noch dazu erkoren, darüber Auskunft zu geben und Rechenschaft[12] abzugeben. Das dürfen wir uns einfach nicht ausreden lassen. In Umfragen haben wir als Pastorinnen und Pastoren nach wie vor gute Werte. Man vertraut uns. Man erwartet etwas von uns – trotz aller Mängel! Wir haben es überhaupt nicht nötig, unsere Inhalte „weichzuspülen“!

Zuständig für existentielle Fragen!

Meine Lieblings-Karikatur in Sachen Homiletik zeigt zwei Menschen. Der eine steht hinter einem Schalter; oben drüber steht auf einem Schild: „Information“. Der andere steht davor und fragt: „Woher komme ich, warum bin ich hier, wohin gehe ich?“ Der Mensch hinter dem Schalter wirkt erschrocken, verdutzt, ratlos. – Für mich bildet das die besagte Selbst-Marginalisierung ab! Man kommt zu uns, weil wir Antworten verheißen. Wir haben sie auch. Aber wir sind verblüfft – und sprachlos.

Dabei dürfen wir uns in den fundamentalen Fragen doch eins wissen mit unserem Gegenüber![13] Elementare und existentielle Fragen haben doch immer am Anfang religiöser Erkenntnis gestanden! Hören wir sie doch heraus, diese Fragen; es sind doch auch unsere eigenen! Knüpfen wir doch an an diesem Wunsch, Antworten zu finden. Wer denn sonst sollte hier zuständig sein? „Woher komme ich, wohin gehe ich?“ Der staunende Blick zum Himmel. Das Erschrecken über unbegreifbare Weite. Die scheiternden Versuche, Zeit und Ewigkeit zu denken. Das Ergriffen-Sein von neugeborenem Leben. Die Erschütterung durch den Tod. Das überschäumende Glück des Neuanfangs. Die Gefährdung des eigenen Lebens und des Lebens meiner Lieben. Die Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit. Die Angst vor Krankheit. Der Druck von Scham, Groll und Versagensangst. Mit all dem sitzen sie doch im Gottesdienst, die Frauen und Männer, die Jugendlichen, auch schon Kinder – und sehnen sich nach Antworten, die tragen. Wie wir selber auch. Und natürlich ist der Erwartungshorizont zu groß, das Enttäuschungspotential hoch. Aber dennoch: eine wunderbare Aufgabe! Wer, wenn nicht wir, sollte sich ihr stellen!

Überspitzt formuliert: es geht (zweitens) um eine Re-Inkarnation der Verkündigung!

Die Zeit ist reif! Es gibt eine Welle religiöser Literatur. Filme, Songs und Wissenschaftsmagazine traktieren religiöse Themen rauf und runter. Statt sich davon zu distanzieren und dagegen zu polemisieren, solltest du in die Offensive gehen: schön, dass ihr jetzt auch drauf kommt! Lass mal sehen, wie weit ihr seid! Wollt ihr mal hören, was ich dazu zu sagen habe?! Es ist nur folgerichtig, verstärkt auch auf Foren zu setzen, sich mit denkenden und forschenden Menschen über die großen Themen der Welt auszutauschen. Das darf doch nicht sein: dass die Plausibilität unseres Themas steigt, unser Selbstwertgefühl aber sinkt!

Und es lässt sich doch plausibel machen, dass wir uns mit den entscheidenden Fragen des Lebens befassen. Es muss wieder „Fleisch dran“ an die Verkündigung! Ob man die Antworten akzeptiert, ob es gar zu Glaube und Vertrauen kommt – das steht nicht in unserer Macht, wohl aber, dass wir selber unsere Themen ernst nehmen!

Viele Möglichkeiten der Anknüpfung

Zum Beispiel: Gott und die Schöpfung, 1. Artikel: Überraschend hoch die Zahl der Wissenschaftler, die eben keinen Gegensatz zwischen Naturwissenschaft und Glaube sehen. „Wenn ich in den Sternenhimmel schaue, fühle ich mich geborgen und geführt von einem persönlichen Gott“, sagt etwa Eduard Thommes, Astrophysiker an der Universität Heidelberg. Und der Baseler Astronomieprofessor Andreas Thammann stellt fest: „Das Weltall ist uns so unwahrscheinlich günstig gesinnt, dass es geplant zu sein scheint“[14] Und der Göttinger Gelehrte Friedrich Cramer beantwortet die Frage: „Kann in der Vorstellung eines Wissenschaftlers Gott existieren“ mit „eindeutig…ja“.[15] Keine Angst: ich plädiere nicht für Gottesbeweise! Es geht um die Plausibilität des Themas!

Auch der Mensch Jesus ist „plausibel“: Er übt eine Faszination aus weit über die christlichen Kirchen hinaus. Wie er lebte und predigte, heilte und Wunder tat, das macht Eindruck. Dass er eine ganz neue Gerechtigkeit in die Welt brachte, auch zwischen Frau und Mann, dass er das Selektionsprinzip durchbrochen hat, dass er Geistiges dem Materiellen vorzog und dass er für seine Überzeugung starb – all das bringt das Hoffen der Menschheit zum Klingen, dass es mehr und Besseres geben muss als was in der Gegenwart Macht hat. – All das bedeutet noch nicht „Glauben an Jesus“. Dass er der Messias ist, dass mit ihm ein neuer Äon angebrochen ist, dass er die Antwort ist auf die fundamentale Unheilbarkeit der Welt – all das ist nur dem glaubenden Menschen offenbar. Aber es gibt sie eben, diese unzähligen Möglichkeiten, am Leben und an der Predigt des Jesus von Nazareth anzuknüpfen.

Nicht anders ist es mit der Geistkraft. Es ist doch ein sehnlicher Wunsch vieler Menschen, nicht festgelegt zu sein, neu anfangen zu dürfen. Es gibt doch eine Ahnung davon, dass nicht alles durch uns selber passiert, dass Verwandlung möglich ist, dass alles anders werden kann, Grenzen überschritten werden können … Man nennt es säkular Zufall, Schicksal, wie auch immer. Macht nichts. Sie ist jedenfalls da, die Disposition für Heiligen Geist, für geistliche Gemeinschaft, für den Empfang immaterieller Güter. Dass es Gottes Geist ist, der über Grenzen führt, dass er und sie es ist, die Gewissheit gibt im unsicheren Leben, das freilich können wir nur bezeugen. Aber wir sollen es tun. Stoff für viele packende Predigten!

Natürlich kommt einem bei solchen Parallelisierungen die theologische Debatte um den Anknüpfungspunkt in den Sinn: Schleiermacher, Kähler, Brunner. Gibt es den Anknüpfungspunkt? Ist der Mensch ansprechbar? Tillich brachte es bekanntlich mit dem Begriff der „Korrelation“ zum Ausdruck: Gott kann nicht abgesehen von seiner Beziehung zum Menschen Gegenstand der Theologie und Inhalt des Glaubens sein. Jedenfalls gehen unsere Antworten nicht im allgemein Menschlichen auf. Sie sind ja offenbart. Und damit sind sie eben nicht menschliche Entwürfe oder Produkt humaner Kreativität.

„Woher kommt es nur“, fragte der Bischof von London den berühmten Schauspieler Quin, „dass wir Prediger mit den erhabenen und wahren Gegenständen, die wir verkünden, meist nur geringen Eindruck machen, während ihr Schauspieler mit euren Dichtungen auf der Bühne die Leute so sehr bewegt?“ „Das kommt daher“, entgegnete Quin, „dass wir von den erdichteten Sachen wie von wahren sprechen, ihr Geistlichen dagegen von den wahren wie von erdichteten.“

Ritual statt Wort?

 Von Brunner stammt der schöne Satz: „Es könnte sein, dass ein Seelsorger wegen des Was in den Himmel, aber wegen des Wie in die Hölle käme.“[16] Vielleicht ist es das, was christliche Verkündigung so erschwert: Es soll ein inneres Ergriffen-Werden erreicht werden. Das Gesagte soll möglichst zur Herzenssache werden, zur Nachfolge führen.[17] Das ist ja nicht immer und überall so gewesen! Es unterscheidet speziell die evangelische Verkündigung von anderen Religionen und Konfessionen. Predigen hat dort einen geringeren Stellenwert; stattdessen gibt es rituelle Vollzüge, denen man beiwohnt oder auch nicht – und die wirken, so glaubt man. Viele halten ja den Protestantismus für zu intellektualistisch und demgemäß für eine Überforderung des Menschen (und damit sowohl des predigenden wie des hörenden Menschen). Wir aber beharren – m.E. zu Recht! – darauf: die Welt verdankt ihren Bestand nicht irgendwelchen Riten – und mein persönliches Heil hängt eben nicht an irgendwelchen frommen kultischen Vollzügen – nein, es ist allein der erhaltende Wille Gottes, dem ich mich verdanke. Letztlich kann ich und brauche ich nichts zu tun. Priesterinnen und Priester benötigt die Menschheit nicht mehr. Denn es gibt nichts mehr stellvertretend vor einer Gottheit zu agieren. Kult als Einwirkung auf Gott hat ausgedient. Das ist der Unterschied zu allen Ritualkulturen und zu den auf menschliches Mitwirken gerichteten Konfessionen. Genau genommen bemisst sich also das Gelingen unserer Amtsausübung „am Grad der Beherzigung (der) Predigt“[18]. Aus der Sicht des Menschen mit seinem Wunsch nach sinnlicher Wahrnehmung ist das offenbar zu wenig. Überfrachten wir die Verkündigung?

„Ach, Herr Pfarrer“, klagt ein altes Gemeindeglied, „Sie reden immer so verständlich in Ihren Predigten und immer auf deutsch! Ihr Herr Vorgänger – das war ein Prediger! Der hat immerfort lateinische und griechische Redensarten und ganze Sätze in die Predigt gemischt, manchmal sogar auf Hebräisch. Die konnte niemand verstehen, und da kam man noch zum Nachdenken und zur Andacht!“

Mich erinnert das an die steile Bemerkung von Manfred Josuttis, ein zentrales homiletisches Problem bestehe „in der Frage, wie man Geheimnisse weitergibt, ohne sie zu verraten“[19] Eine Predigt, die Fragen beantworte, mache das Gebet überflüssig.[20] (Da ist viel passiert in Göttingen seit Ende der 60er-Jahre!). Ganz offenkundig ist jedenfalls, dass die Themen Religion, Kult und priesterlicher Dienst auch bei uns wieder eingekehrt sind – um des Menschen willen, der Anschauung zu brauchen scheint. Ich kann das persönlich gut nachempfinden und ich liebe auch schöne Kirchen und stimmige Gottesdienste, Kerzenschein und große Musik. Allerdings ist abzusehen, wo wir theologisch „landen“, wenn wir im Gegenzug das Predigen abwerten – aber das ist ein eigenes Thema …

Jedenfalls: auf den Glauben ansprechbar ist ein Mensch dann, wenn er sich angesprochen fühlt und wenn sein Fragen und Suchen ernst genommen wird und Antwort findet. Wir haben doch diese Antworten bekommen – und wir wollen sie doch geben, statt damit hinter dem Berg zu halten. Und wir wollen sie doch verständlich geben, seelsorglich, fassbar. So ist es doch sinnvoll, ja, notwendig, unsere Hoffnung in Kontakt zu bringen mit dem, was Menschen bewegt. So selbstverständlich das klingt, so beharrlich wird dagegen verstoßen. Viel zu oft Banalitäten, viel zu häufig die „Sprache Kanaans“ – und immer wieder dieses Steckenbleiben bei der Schilderung des babylonischen Exils und der Bauart palästinensischer Häuser zu der Zeit Jesu – und dann der garstige Graben zwischen Damals und Heute: völlig unnötig!

„Liebe Gemeinde“, sprach der Pfarrer, nachdem er die Kanzel erklommen hatte, „heute fällt die Predigt aus; denn ich habe euch etwas zu sagen.“

[1] 1. Kor 9,16

[2] in Anlehnung an Albrecht, Predigen, Stuttgart 1985, S. 92, der K.-W. Dahm referiert

[3] 2. Kor. 4, 13

[4] Piper Predigtanalysen, Göttingen 1976, S. 129, zitiert Thilo, s. dort Anm. 3

[5] Piper 130, mit Bezug auf Josuttis

[6] s. a. Albrecht S. 80, vgl. dort Anm. 206

[7] Apol VII,28

[8] bei Denecke, Persönlich Predigen, Gütersloh 1979, Neuauflage (!) Münster 2001, S. 24

[9] Albrecht 81

[10] 81, Anm. 213

[11] vgl. die Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger

[12] 1. Petrus 3,15

[13] Gerd Theißen, Zeichen des Glaubens – Chancen der Predigt heute, Gütersloh 1994, S. 150

[14] Zitate aus „GEO Wissen 33, 2004, S. 68ff

[15] Friedrich Cramer, Chaos und Ordnung, Stuttgart 1988, S. 240

[16] nach Zahrnt, Die Sache mit Gott, München (1966) 1968 (47.-56. Tausend), S. 76

[17] in Anlehnung an Assmann, Die mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003, S. 146f.

[18] Assmann ebd., S. 147

[19] Manfred Josuttis, Offene Geheimnisse, Gütersloh 1999, S. 7

[20] ebd. S. 14

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