Lieber Gott?

Gedanken zum 13. Sonntag nach Trinitatis

Solche Sätze können einem gefallen: Gott ist die Liebe! Knapp, einfach und schön. Man fragt sich geradezu, warum dieser Satz nicht im Glaubensbekenntnis steht. Treffender kann man es doch gar nicht sagen!

Aber nun haben ja gerade knappe und griffige Formulierungen etwas Zweischneidiges. Sie leuchten zwar ein, aber sie vereinfachen auch, ja, sie können in die Irre führen. Gott ist die Liebe! Wenn das so ist, dann kann man ja wohl diesen Satz auch umdrehen: Die Liebe ist Gott!? Also: überall da, wo Menschen einander liebevoll begegnen, da treffen sie auf Gott selber. Ist das nicht überhaupt der Schlüssel? Erledigen sich damit nicht komplizierte theologische Erörterungen!?

Tatsächlich gibt es ja in der Bibel die Rede davon, dass der Mensch das Ebenbild Gottes sei. Wenn also Gott Liebe ist, dann auch der Mensch. Und in der Tat erfahren wir Liebe durch Menschen. Der Dichter Ernesto Cardenal spricht davon, dass jeder Mensch einen unerschöpflichen Vorrat an Liebe in sich trage, nicht nur die Sehnsucht danach, sondern auch die Fähigkeit dazu. Und mit dieser Liebe verhalte es sich wie mit einem Medikament, das man in der Pillendose mit sich herumtrage: sie muss heraus, muss verteilt und „eingenommen“ werden, sonst kommt sie nicht zur Wirkung. Der riesige Vorrat an Liebe kann zur Last werden, die drückt und die auf die Suche treibt nach dem, was wir in Wahrheit selber in uns tragen: „Wir selber sind dem Wesen nach Liebe, denn wir sind Ebenbilder Gottes und Gott ist Liebe.“

„Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. Scheinbar wird uns hier so etwas wie ein Rezept gegeben zum glücklichen Leben. Offenbar muss man es nur richtig anstellen, muss an der Liebe dranbleiben, dann geht es einem gut.

Nur: das wird ja vom Leben dauernd widerlegt. Das Vertrauen, einen unerschöpflichen Schatz an Liebe in sich zu haben, kann schnell ins Wanken geraten. Was ist, wenn man sich leer und ausgebrannt vorkommt? Was ist, wenn es einem nicht mehr gelingt, die Menschen zu lieben? Was ist mit Ehen, in denen der Wunsch nach Geborgenheit nicht einmal mehr ausgesprochen werden kann? Was ist mit Kindern, denen ihre Sehnsucht nach Zuwendung schon früh ausgeprügelt wurde? Ist angesichts solcher Dinge der Satz „Gott ist die Liebe“ noch etwas wert? Was soll gar die Umdrehung „Die Liebe ist Gott“? Gilt das alles nur, solange die Menschen „lieb“ zueinander sind?

Offenbar kommt man so nicht weiter! Woran liegt´s? Es liegt an dem Wort „Liebe“. Wir glauben zu wissen, was das ist… Aber Vorsicht! Johannes benutzt dafür ein Wort, das sonst fast nirgends vorkommt: Agape! Ein griechisches Wort, das außerhalb der Bibel ungebräuchlich ist. Agape? Bei uns wird es übersetzt mit einem Wort, das geradezu inflationär gebraucht wird: Liebe. Diese Übersetzung ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist sie, weil es bei uns kein anderes Wort dafür gibt. Falsch aber deswegen, weil bei dem Wort Liebe alles Mögliche mitschwingt – nur das nicht, was hier gemeint ist.

Was ist das denn? Es ist ein zutiefst biblischer Zusammenhang, den „Agape“ bezeichnet: Es geht um das Handeln Gottes an seinem Volk. Gottes Beziehung zu uns Menschen ist ihrem Wesen nach „Agape“, ins Lateinische übersetzt: caritas. Und als Christen sagen wir: Stärkster Ausdruck von Gottes Agape ist es, dass er uns Jesus Christus geschickt hat. Hätte ich die Liebe nicht, so wäre alles nichts nütze: Die Liebe Gottes nämlich, die sich in Jesus zeigt.

Johannes behauptet, Gottes Liebe zu uns ist grundlegend für alles andere, ein starker, nie versiegender Quell für unser Leben. Es gibt ihn, ohne dass wir etwas dafür tun, ohne unsere Leistung. Davon werden wir getragen, nicht von dem, was wir haben, was wir erarbeiten, was wir leisten – das kommt quasi dazu. Und so vertrauen wir darauf: was wir tun, ist aus dieser Quelle gespeist.

Kein vernünftiger Mensch wird bezweifeln, dass Nächstenliebe dringend nötig ist. Und niemand wird Bemühungen verhindern wollen, um auf diesem Wege voranzukommen. Nur besteht ja hier eine große Gefahr: So sehr sich ein Mensch auch um das Gute bemüht, er wird immer auch die Erfahrung von Versagen und von eigenem Ungenügen machen. Bei allem Einsatz, bei aller Liebe: Nie werden Menschen mit ewig gültiger Sicherheit sagen können, was für sie und andere „richtig“ ist. Immer werden Defizite bleiben, das Gefühl, doch nicht im vollen Sinn geliebt zu haben.

Und dann scheint die letzte Wahrheit die zu sein: Der Mensch ist ein Mängelwesen; Gott will ihn zum Besseren treiben, aber das funktioniert nicht ganz. Was daran so schlimm ist, ist dies: nie gibt es Befreiung von Angst, weder im Leben, noch im Sterben. Immer bleibt noch etwas zu leisten.

Und darum ist schließlich auch die Rede von einem „lieben Gott“ etwas sehr Zweischneidiges. Eltern reden ihren Kindern gegenüber gern von ihm. Das klingt freundlich und macht keine Angst. Und die Rede vom „lieben Gott“ kann sich scheinbar auch auf den 1. Johannesbrief stützen: „Gott ist Liebe“. Aber hier gilt eben auch: „lieb sein“ ist etwas sehr Diffuses. „Lieb“ sind Kinder häufig, weil sie damit eine günstige Wirkung erzielen wollen. „Lieb sein“ ist durchaus nicht ihr Wesen. Darum kann auch die Rede von einem „lieben Gott“ nicht überzeugen. Sie verstummt bei schwerem Leid.

Der scheinbar so einfache Satz „Gott ist die Liebe“ birgt einen tieferen Sinn in sich. Bonhoeffer sagt, wir wissen von Natur aus eben nicht, was Liebe ist, und wir wissen darum auch nicht, was Gott ist.

„Gott ist die Liebe“ – das ist nur dann ein sinnvolles Bekenntnis, wenn darin auch schwerste Erfahrungen aufgehoben sind: Leid und Tod. Es entwickelt da seinen tiefen Sinn, wo ein Mensch dadurch letzte Gewissheit bekommt, wo er trotz Not und Anfechtung sich geborgen und aufgehoben weiß. Vielleicht steht er darum nicht in unserem Glaubensbekenntnis, der missverständliche Satz „Gott ist die Liebe“. Vielleicht stehen an seiner Stelle dort die Worte über den Lebensweg des Sohnes Gottes: „…gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben…“ Er gab sein Leben für uns, „daran haben wir erkannt, was Liebe ist“, das steht einige Absätze vorher im selben Brief (3,16).

Nur so paradox, so wenig „einleuchtend“ lässt sich ausdrücken, was Liebe Gottes ist. Wenn Gott für mich nur so lange die Liebe ist, wie es mir gut geht, sitze ich einem Gottes-Bild auf, einer Illusion. Gott ist auch da, wo wir ihn nicht vermuten oder wo wir nichts von ihm spüren. In Freude und Leid doch gewiss sein, dass ich geborgen und getragen bin, darin besteht die christliche Zuversicht. Ich brauche meinem Schicksal keine Deutung mehr unterzuschieben. Ich darf ein unbedingtes und unerschütterliches Vertrauen zum unbegreiflichen Gott haben.

Text: 1. Johannesbrief 4,7-12;16b-21

 

 

 

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