Gedanken zu einem Prophetenwort aus Jesaja 55
„Auf, ihr Durstigen, geht zum Wasser! Auch wer kein Geld besitzt – geht! Und kauft Getreide und esst, geht und erwerbt ohne Geld Wein und Milch! —
Weshalb wollt ihr Geld für etwas geben, das nicht nährt, euch mühen und nicht satt davon werden?
Hört auf mich und ihr esst Gutes, es labt sich am Fetten eure Seele.
Neigt euer Ohr und kommt zu Mir! Hört, und es lebt eure Seele!“
Der Prophet überbringt eine Einladung zum Fest. Zu einem „fetttriefenden orientalischen Mahl“. Wer bei diesem Fest bezahlen will, beleidigt den Gastgeber! Alle sind eingeladen. Auch die, die gerade noch glaubten, sie müssten außen vor bleiben. Alle dürfen kommen und hinlangen. Alles ist kostenlos.
Wasser, Brot, Wein, Milch. Für uns heute sind das leicht zu habende Lebensmittel. Ein Griff ins Regal, rein in den Einkaufswagen. In Wüstengegenden versteht man besser, was gemeint ist. Ich habe das gesehen im Nahen Osten: ein karges Beduinenkamp. Einer führt uns zu einem Wasserloch, mühsam gegraben, mehrere Meter tief. Unten drin: ein bisschen Wasser. Wenig. Aber immerhin: Wasser. Ich sehe, wie stolz mein beduinischer Begleiter ist. Dieses Wasser bedeutet für die ganze Sippe viel: man kann hier weiter leben; man ist versorgt; Menschen, Tiere und Pflanzen können ernährt werden. Es wird Brot und Milch geben. Man wird feiern können.
Frisches Wasser kostenlos. Im Supermarkt fällt mir nicht mehr auf, was das bedeuten kann. Auch nicht, wenn ich zu Hause den Wasserhahn aufdrehe. Aber in der Wüste, da begreife ich es. Wenn es genießbares Wasser nicht gäbe, dann könnte ich nicht leben. Das leuchtet ein. Und weil das so einleuchtet, darum nimmt es der Prophet als Gleichnis. Es geht um etwas Einfaches, sagt er. So, wie ihr Wasser braucht, so braucht ihr das Hören. Das Hören auf mich! Wasser und elementare Nahrung als Gleichnis, als Hinweis auf etwas noch Wichtigeres!
„Hört auf mich!“ Ganz schön selbstbewusst, der Prophet! Er stellt sich hin und ruft den verunsicherten und zweifelnden Menschen zu: Hört auf mich, ich rede im Auftrag Gottes. Ein hoher Anspruch!
Es erinnert an Jesus. Ein paar Jahrhunderte später. Der geht sogar noch weiter: „Wer an mich glaubt …, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“ (Johannes 7,38)! Und es stimmt. Menschen in seiner Nähe können glauben. Viele werden gesund, finden den Sinn ihres Lebens. Frisches Wasser! Direkte Verbindung zur Quelle!
Selbstbewusst: der Prophet und Jesus – und wir Christen heute! Wir sagen ja auch: Wir haben diesen Auftrag – von Jesus. Wir sollen auf dieses ganz Einfache hinweisen. Auf das Wasser des Lebens, auf Gottes Wort. Häufig gelingt das auch – und das ist wunderbar. Menschen glauben, manche werden heil – am Leib, an der Seele.
Aber leider ist auch das andere wahr: Viele hören uns Christen und beobachten uns – und sie fragen sich: Bin ich gemeint? Gilt das für mich? Komme ich mit meinen Fragen vor? Oder liegen schon immer alle Antworten fest? Wisst ihr schon immer, was angeblich für mich gut ist, bevor ihr mich kennt? Vielleicht sind meine Fragen für euch gar nicht wichtig. Vielleicht sind meine Zweifel euch zu grundsätzlich. Also: Lohnt es sich hinzuhören? Bringt es was, genau hinzuschauen?
Ich kann diese Fragen gut verstehen! Kirche hat sich in den Jahrhunderten eine Sprache zugelegt, die schwer wie ein Gitter über dem Brunnen liegt! Insidersprache! Versteht die kirchenfremde Nachbarin, dass es um sie geht?! Unser Reden und unsere vielen kirchlichen Aktivitäten gehören auf den Prüfstand. Führen sie zum frischen Wasser? Bringen sie elementar zum Leben Notwendiges? Nähren sie die Seele? Ist zu erkennen, warum wir das alles tun? Wissen wir es selber? Sozialarbeit, Freizeiten und Ausflüge, Kindergärten, Basare. Ja, auch Gottesdienst-„Angebote“ als Serviceleistung. Soviel Mühe in all dem steckt: werden die wesentlichen Fragen gestellt? Kann man darin Orientierung finden? Gibt es darin die Chance zu einer persönlichen Begegnung mit Gott? Höre ich und bekomme ich, was ich elementar zum Leben brauche?
Manche verlassen die Kirche. Sie suchen woanders. Sie befragen ihre Träume, begegnen der Welt ihrer Archetypen, schweigen stundenlang, um wieder hören zu können, praktizieren Riten asiatischer Religionen, praktizieren neuerdings „Waldbaden“. Suche nach persönlicher Gewissheit.
Es wäre töricht, das zu kritisieren! Im Gegenteil! Es zeigt eine große Sehnsucht. Nur – irgendwann merken wir: Wo ich auch hingehe – und wo Sie auch hingehen: das Wesentliche ist nicht machbar und nicht kaufbar!
– Kaufen kann man sich Zustimmung – aber nicht Glaubwürdigkeit.
– Kaufen kann man sich Arznei – aber nicht Gesundheit.
– Kaufen kann man sich gelehrte Bücher – aber nicht Lebenssinn.
Das Wesentliche wird geschenkt. Sogar die Sehnsucht nach Gott wird geschenkt. Und die Bereitschaft, auf sein Wort zu hören. Das Hören kann zum Besinnen führen – und es kann andere Sinne einbeziehen: das Sehen, das Fühlen, jegliches Wahrnehmen. (Im Fachjargon gesprochen: Glaube hat es mit Ästhetik zu tun.) Durch Wahrnehmen kann uns Sinn erreichen, ganz direkt. Manchmal sind es kurze Sätze:
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nicht nichts mangeln“,
„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“
Es kann eine Liedzeile sein:
„Ich lobe dich von ganzer Seelen“
Oder ein Jesuswort: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken!
Über das Hören kann sich Sinn einstellen. Hinhören ist also verheißungsvoll. Einen Halt machen können in der Betriebsamkeit. Zulassen, was von außen nach innen und von innen nach außen dringen will. Den Quell des frischen Wassers entdecken, fließen lassen, ihm nachsinnen.
Und das Gehörte: es gehört Dir. Ein Geschenk. Kostenlos hast Du das Wasser des Lebens empfangen – hoffentlich war das nicht umsonst. „Auf, ihr Durstigen, geht zum Wasser! Auch wer kein Geld besitzt – geht! Und kauft Getreide und esst, geht und erwerbt ohne Geld Wein und Milch! —
Weshalb wollt ihr Geld für etwas geben, das nicht nährt, euch mühen und nicht satt davon werden?
Hört auf mich und ihr esst Gutes, es labt sich am Fetten eure Seele.
Neigt euer Ohr und kommt zu Mir! Hört, und es lebt eure Seele!“
Zum 2. Sonntag nach Trinitatis