anläßlich der Vernissage der Ausstellung „Gemeinsam auf dem Weg“,
6. Juni 2025, Haus der Kirche Bad Harzburg
Ein Lob auf das KFS soll ich ausbringen. Das hat sich Jens Höfel so gewünscht. Ich habe gern und spontan zugesagt – schließlich gehört das KFS zum Besten, was ich in meinem Leben erlebt habe… Aber es ist gar nicht so leicht… Nicht, weil das für mich alles so lange her ist: die Erlebnisse vor 30/40/50 Jahren stehen mir so lebhaft vor Augen, als ob das alles gestern war… Und nicht, weil es schwer wäre, Gutes über dieses großartige Projekt zu sagen. Nein, im Gegenteil, es ist so viel – da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll…
1.
Vielleicht sollte ich da anfangen, wo es für meine Frau und mich begann? Das war so: 1971, Predigerseminar Braunschweig. Wir erzählen uns in unserem Vikarsjahrgang über unsere Gemeinden. Da raunt einer meiner Mit-Vikare etwas von einer ganz besonderen Arbeit mit den Konfirmanden… Aber er wolle nicht zuviel erzählen, das sei nämlich alles sehr exklusiv. Und dann fiel das ungeheure Wort: „Gruppendynamik“ betreibe man da in Südtirol…
Nun muss man wissen: Vor gut 50 Jahren war das unter Pfarrern und für Kirchenleitungen noch ein Unwort! Kam in der Bibel nicht vor, setzte sich an die Stelle des Evangeliums. Gehörte zu den „Humanwissenschaften“ – und die galten als Gegensatz zu dem, was Kirche lehrte. Wir fanden das aber spannend. Und so gehörte meine Frau Imogen schon 1972 zu einem KFS-Team – nämlich dem der Lukas-Gemeinde in Salzgitter-Lebenstedt, Pfarrer: Martin Fischer. Und ich hatte damit das Thema für meine Arbeit zum zweiten theologischen Examen gefunden: Sie bekam einen sperrigen Titel – und das hatte einen Grund. Der Titel: Theologische Erwägungen zum Einsatz gruppendynamischer Verfahren in der Konfirmandenarbeit. Es war ein Wunder, dass ich dieses Thema überhaupt bearbeiten durfte – wie gesagt: Gruppendynamik war „pfui“. Also mussten es „theologische Erwägungen“ dazu sein, möglichst natürlich kritische. Die fand ich aber kaum. Dass ich damit durchkam, verdanke ich Ernst-Heinrich Kammerer, dem damaligen Oberlandeskirchenrat. Ich glaube, er verteidigte die Arbeit gegen seine Kollegen in Wolfenbüttel…
2.
Oder sollte ich lieber damit anfangen, was wir damals im Ahrntal vorfanden? Südtirol war bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts ein armes Gebiet. Ein Beispiel: Viele Familien in St. Jakob konnten sich die Kleidung zur Erstkommunion nicht leisten. Die wurde ihnen gestiftet – und zwar von protestantischen Sudetendeutschen. Seit 1970 war das Ahrntal von oben bis unten voll mit KFS-Gruppen. Einfache Unterkünfte waren es. Die gastgebenden Familien waren dankbar für ein zusätzliches Einkommen. Dafür gaben sie viel: Ihre Kinder zogen aus ihren Zimmern aus und bekamen ein bescheidenes Quartier im Keller bzw. auf dem Boden – so war das jedenfalls in einigen Häusern. Und Herzlichkeit gaben sie, Langmut, unendliches Verständnis – wenn manchmal auch kopfschüttelndes –für die Umtriebe der jungen Menschen aus dem Braunschweigischen. Fensterln war noch nicht verboten…
Uns war damals nicht wirklich bewusst, wo wir da für drei Wochen lebten. Erst seit 1972 ist Südtirol ja eine Autonome Provinz in Norditalien, und seitdem erst durfte es überhaupt „Südtirol“ heißen! Bis dahin hatte die Bevölkerung unter einer umfassenden Italienisierung zu leiden. Das bedeutete u.a.: Im Schulunterricht und in öffentlichen Institutionen durfte die deutsche Sprache nicht mehr benutzt werden. Wir haben das noch lebhaft in Erinnerung, wenn italienische Bahnbeamte sich hartnäckig weigerten, deutsch zu sprechen oder auch nur zu verstehen! Manche unserer Gastgeber hatten noch in Katakombenschulen heimlich Unterricht bekommen. Bis in die 80er-Jahre hinein hatte es gewalttägige Anschläge wie Sprengung von Strommasten gegeben. Anfang der 1960er-Jahre begannen internationale diplomatische Verhandlungen, die zur Autonomie führten. Erst 1992 kam es zur endgültigen „Streitbeilegungserklärung“.
Von dieser Gemengelage haben wir nicht viel gespürt und den KonfirmandInnen kaum etwas weitergegeben. Nur wenigen war bewusst, dass das KFS zum wirtschaftlichen Aufschwung der Region beitrug. Es gibt Ahrntaler und andere Südtiroler, die das wissen und bis heute dankbar sind! 1960 gab es 2,4 Millionen Übernachtungen von Ausländern, 1970 schon fast das Dreifache, 1980 20 Millionen und heute wohl über 30 Millionen. Heute ist das Land vergleichsweise wohlhabend – und kaum noch jemand will für kleines Geld Konfis und teamern Kost und Logis geben. Ich war damals der einzige, der mit einem Auto ins Tal gekommen war: Den VW-Käfer hatten wir 1971 von meinen Eltern zur Hochzeit bekommen. Das Auto brauchte ich, um von Gruppe zu Gruppe zu fahren. Denn ich hatte mir vorgenommen, die gruppendynamischen Experimente zu beobachten und teamer und Konfis dazu zu befragen. In den meisten Gruppen klappte das; ich durfte Mäuschen spielen und meine Beobachtungen aufschreiben. Nur in einem Haus klappte das nicht. Da hatte nämlich mein oben erwähnter Mitvikar das Sagen – und der ließ mich an der Tür abweisen. Gruppendynamik! Exklusiv! Gucken verboten!
3.
Vielleicht sollte ich aber lieber anfangen mit den Gründern des KFS. Das sind Hans-Jörn Hasse und Martin Quandt. Die beiden waren damals – 1966 – noch Vikare, Hans-Jörn in Lebenstedt und Martin in Immenrode. Der Wolfsburger Pfarrer Egon Meyer hatte Ihnen das finnische Konfirmandenmodell erläutert: Kernpunkt: eine dreiwöchige Freizeit. Martin Quandt schreibt: „Irgendwann im Jahre 1967 rief ich bei Hans-Joern an und fragte: ´Soll ich mal ein Haus besorgen?“´ „Ja, mach man!“ war die lapidare Antwort. Und so kam es. Start war 1968 in Berchtesgaden. Seit 1970 ist es Südtirol. Und damit fand die Reformpädagogik Eingang in die Braunschweigische Landeskirche. Begründer dieser Richtung war Kurt Hahn. Der lebte von 1886 bis 1974. Bekannt ist er durch die Gründung des Landschulheims Schloss Salem. Hahn wurde übrigens 1933 als Gegner Hitlers festgenommen und emigrierte später nach Schottland.
Was zeichnet die Pädagogik von Kurt Hahn aus? Es handelt sich um ein ganzheitliches Bildungskonzept mit sieben Imperativen: Gebt den Kindern Gelegenheit, sich selbst zu entdecken. – Lasst die Kinder Triumph und Niederlage erleben. – Gebt den Kindern Gelegenheit zur Selbsthingabe an die gemeinsame Sache. – Sorgt für Zeiten der Stille. – Übt die Phantasie. – Lasst Wettkämpfe eine wichtige, aber keine vorherrschende Rolle spielen. -Erlöst die Söhne und Töchter reicher und mächtiger Eltern von dem „entnervenden“ Gefühl der Privilegiertheit.
Im KFS ist gelungen, solche grundsätzlichen Überlegungen in kirchliche Praxis zu übersetzen. Das ging nicht von heute auf morgen! Die Anfänge waren geprägt von zahlreichen gruppendynamischen Experimenten. 1967 war Tobias Brochers „Gruppendynamik und Erwachsenenbildung“ bei Westermann in Braunschweig erschienen; das Büchlein wurde nachhaltig genutzt. Im Nachhinein muss man sagen, dass die Auswertung solcher Übungen und Planspiele nicht immer gut gelang. Den Konfis gefielen sie in der Regel gut, die Teamer aber hatten das eigentliche Interesse am Transfer in den anschließenden Gesprächsrunden. Auch wurden die eigenen physischen und psychischen Kräfte häufig überschätzt. Oft begegnete ich bei meinen Besuchen übermüdeten und erschöpften Teamern.
4.
Jetzt muss ich nochmal anders anfangen! Und zwar bei der Kirchenleitung. Wenn man heute die website der Landeskirche aufmacht, findet man unter dem Stichwort „Glauben erfahren“ Folgendes: Neben dem wöchentlichen Konfirmanden-Unterricht „haben sich andere Formen des Unterrichts entwickelt. Das prominenteste Beispiel für die Braunschweiger Landeskirche ist das Konfirmanden-Ferien-Seminar.“ Bis zu einer solchen offiziellen Formulierung war es ein langer Weg. Der damalige Bischof Prof. Müller war grundsätzlich skeptisch gegenüber einer humanwissenschaftlichen Herangehensweise. Erst Bischof Weber war von Anfang an überzeugt und stolz auf das Projekt; er fuhr sogar mit nach Südtirol. Spätestens seitdem gilt wohl auch beim letzten skeptischen die Devise: „Das KFS ist ein guter Zug der Kirche“!
Es ist übrigens kein Zufall, dass das KFS Ende der 60er-Jahre entstand. Das war eine Zeit der Revolte. „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“, dieser Schlachtruf an den Universitäten war für uns auch in der Kirche angebracht. Kein Wunder, dass man in Wolfenbüttel beunruhigt war. Die Zweifel der Kirchenleitung bezogen sich auch auf die gesteckten Ziele wie „Gesprächsfähigkeit der Jugendlichen verbessern“, „Ichstärkung“ oder „kritische Ergänzung der Erziehungsarbeit von Schule und Familie“. Und auch die Methoden wurden beargwöhnt: „Kommunikations- und Kooperationsübungen“, „Soziogramme“, „Selbstorganisation“, „Selbsterfahrung“. Sollte klienten-zentrierte Gesprächsführung einen Platz im kirchlichen Unterricht haben?
Und in der Tat lag hier eine Schwäche. Ein theologischer Ertrag ist da nicht immer sofort zu erkennen. Was lernen die Konfis also? Erst mit der Zeit gelang es, biblische Texte zur Grundlage der Teamvorbereitung und des gesamten Seminars zu machen. Durch die Einführung bibliodramatischer Methoden leistete das KFS dabei erneut Pionierarbeit. Und es sei nicht verschwiegen, dass natürlich auch so etwas auf kirchenamtliche Skepsis stieß. Das habe ich am KFS besonders geliebt: Dass da so viele mitgemacht haben, die frische Ideen hatten, Seminare irgendwo im Lande besuchten und mit neuen Methoden die Teams überraschten. Sowas passierte auf dem Hessenkopf. Dort befand sich der eigentliche Brutreaktor des KFS. Nicht zuletzt deshalb sagt man wohl noch heute „Hessenkopf-Tagungen“ – auch wenn die Seminare längst woanders stattfinden. Aus dieser intensiven gemeinsamen Arbeit entstand häufig der Wunsch, in der Kirche hauptamtlich zu arbeiten. Und so wurde manche Teamerin, mancher Teamer schließlich Diakonin, Sozialarbeiter oder Pfarrerin. In gewisser Weise haben wir die Braunschweigische Landeskirche „unterwandert“.
5.
Je länger ich rede, desto mehr Themen fallen mir ein, mit denen ich beginnen könnte… Und vor allem fällt mir ein: Die Berge müsste ich ja an den Anfang stellen! Das ist doch überhaupt das größte Erlebnis! Wenn die Konfis nach Hause kommen – vielleicht erstmal tagelang den Eltern gar nichts erzählen – irgendwann sprudelt es dann aus ihnen heraus: Wir waren auf dem Gipfel… über 3000 Meter! Das war toll! Dieser Stolz auf die eigene Leistung! Etwas geschafft zu haben, was man nicht für möglich hielt. Das beginnt häufig mit dem Einwandern zu Hause oder im Harz. Während der drei Wochen steigern sich die Schwierigkeitsgrade. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in den Zusammenhalt der Gruppe wächst: Welch ein Gleichnis für ein gelingendes Leben miteinander, ja, für eine friedliche Welt. Manche Eltern sagen: Ich habe ein anderes Kind wiederbekommen als das, das vor drei Wochen in den Zug oder den Bus gestiegen ist. Und das ist durchweg positiv gemeint. Das KFS erreicht die jungen Menschen zu einem Zeitpunkt, an dem sie formbar sind. Da geht es um viel. Und immer wieder gelingt es! Diese Gipfel-Erfahrungen bleiben vielen ein Leben lang wichtig! Und auch, wenn jemand miesepetrig sagt: so ist Kirche ja im Alltag zu Hause nicht – die Erlebnisse bleiben und sind Ansporn, solche Gemeinschaft zu suchen und zu gestalten!
Nicht umsonst sind die Berge ja der Inhalt des KFS-Logos! Die Zacken links und rechts symbolisieren die Berge, dazwischen in der Mitte der Flußlauf. Eigentlich ist es das Ahrntalwappen. Ich hatte mir 1986 erlaubt, es leicht zu verändern. Ein Querbalken macht das Flußtal zu Kreuz – und statt grün und blau kommt violett ins Spiel: Die Farbe der evangelischen Kirche. Wer will, kann auch etwas weiter denken: Der Fluss wird jetzt zur ehernen Schlange auf dem Kreuz… „…wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben“ (Johannes 3, 14 – 15). Ganz oben auf 3000 Meter Höhe unterhalb des Schwarzensteins hat Jakob Oberhollenzer das KFS-Logo in den Fels geschlagen; so ist dort ein Altar entstanden zum 25-jährigen Jubiläum. Jakob war unser Bergführer – und im Hauptberuf Gründer und Leiter der Schnitzschule in St. Jakob.
6.
Vielleicht hätte ich an den Beginn meiner Rede aber auch ein paar Sätze über meine Familie und mich setzen sollen. Einige hier wissen es: Unsere Kinder David und Gesa waren von 1979 an dabei. Gesa lebt seit über 25 Jahren in Luttach im Ahrntal, sie unterrichtet Kunst am Brunecker Kunstgymnasium. Vier Jahre lang war sie bei Jakob Oberhollenzer in die Holzbildhauer-Lehre gegangen. Sie ist verheiratet mit Stephan, einem Neffen von Jakob Oberhollenzer, hat zwei Söhne. Beide sind evangelisch getauft – mit herzlicher Unterstützung der – natürlich – katholischen Familie. Konfirmanden-Unterricht ist in Bozen. Klar, dass wir jedes Jahr ein paarmal vor Ort sind; letztes Jahr Heiligabend haben wir in Sand i.T. für die wenigen Evangelischen den Heiligabend-Gottesdienst gehalten – die katholische Familie war dabei; auch als wir vor vier Jahren Goldene Hochzeit in der Tobl-Kapelle am Franziskusweg gefeiert haben, waren sie aktiv. Ganz stolz bin ich, dass ich 2017 in der Mittelschule St.Johann eine Lehrerfortbildung halten durfte zum Thema „Reformation“! Ehrlich gesagt, habe auch ich erst spät mitbekommen, dass das Ahrntal und das Pustertal eine bewegte Reformationsgeschichte haben. In St. Jakob wurden mir die Häuser der Evangelischen gezeigt – und auch der Friedhof der Luthrischen… Aber das ist ein eigenes Thema…
Unsere beiden Enkelkinder dort sind waschechte Ahrntaler. Wenn sie Teldrarisch sprechen, verstehe ich bis heute kaum ein Wort. Die beiden haben 25 Cousins und Cousinen – so dass wir gefühlt mit dem halben Ahrntal verwandt und verschwägert sind. Ein tolles Gefühl, ein Geschenk!
Womit fange ich also an, wenn ich ein Lob auf das KFS ausbringe? Ich kann mich nicht wirklich entscheiden. Da ist so viel Wichtiges! Darum das vielleicht Tollste am Schluss:
Es geht weiter! – Vielen Dank allen Engagierten – und vielen Dank für die Aufmerksamkeit!