Ein Beitrag zum Reformationstag
Was genau macht eigentlich Goslar zu einem zentralen Ort der Reformation? Da ist zum einen die Altstadt selber. Die Kirchengebäude und Kapellen standen – mit Ausnahme der nach dem Brand von 1728 neu errichteten Stephanikirche – bereits vor 500 Jahren an ihrem Ort. Zahlreiche Gebäude, die bereits damals das Stadtbild prägten, blieben erhalten, das Rathaus genauso wie die Kaiserpfalz und bis heute eindrucksvolle Teile der Stadtbefestigung mit dem Breiten Tor und dem Zwinger von 1517. Es gibt sehr frühe Indizien reformatorischer Regungen im Umfeld der Jakobi-Gemeinde. In den frühen 1520-er-Jahren predigten dort Kapläne im Sinne Luthers. Weil das vom Rat und vom zuständigen Pfarrer nicht gelitten war, zog man vor die Stadtmauern auf den Lindenplan. Goslarer, die sich dort sammelten, nannte man die „Lindenbrüder“. Einer dieser frühen Prediger wurde überaus bedeutend für die Verbreitung von Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes von 1522. Theodor Smedeken übertrug es 1523 ins Niederdeutsche. Erst das machte die Sprache Luthers für den norddeutschen Raum verstehbar.
Die Wucht der Ereignisse ist bis heute sichtbar, wenn man sich zu den Ruinen rund um die Goslarer Altstadt begibt. Im Jahre 1527 rissen die Bürger im Streit mit Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel vier Sakralbauten ein: die Augustiner-Chorherrenstifte St. Georg und St. Peter, die Johanniter-Kommende Zum Heiligen Grab und die Johanneskirche im Bergedorf. Goslar ist Beispiel einer frühen reichsstädtischen Reformation im Norden samt den oft dramatischen Auseinandersetzungen. 1528 führte Nikolaus von Amsdorf, der für einige Wochen aus Magdeburg gekommen war, eine neue Gottesdienstordnung ein. Im selben Jahr entstand eine städtische Lateinschule im Sinne von Luthers Forderung nach Bildung für alle: das heutige Ratsgymnasium. 1531 begab sich die Stadt in den Schutz der protestantischen Fürsten und wurde Mitglied des Schmalkaldischen Bundes. Eine von Amsdorf geschriebene Kirchenordnung wurde verbindlich. Goslar war evangelisches Bollwerk in einem bis 1568 streng katholischen Umland. Glaubensflüchtlinge retteten sich in die Stadt.
In besonderer Weise signalisiert der Anbau im Nordosten an die Marktkirche den Beginn einer neuen Epoche der Stadtgeschichte. Im Jahre 1535 errichtete Goslar an dieser Stelle eine Bibliothek, ein Gebäude, das als das früheste reformationszeitliche überhaupt gelten darf. Dort fand die Marktkirchen-Bibliothek ihren Platz, die derzeit in einem Depot untergebracht ist und im Zuge der Errichtung des „Kulturmarktplatzes“ in absehbarer Zeit umziehen wird. Die Sammlung enthält Buchschätze aus dem ehemaligen Goslarer „Dom“ und aus Klöstern, vor allem aber die Privatsammlung von Andreas Gronewalt aus Halberstadt. Ein Originalexemplar von Luthers Septembertestament von 1522 und das einzige Exemplar des ersten Gesangbuches von 1524 gehören zu den Schätzen. Luthers Sorge um Goslar geht aus einem im Original erhalten gebliebenen Brief des Reformators von 1529 hervor.
Interessierte Besucher werden viele weitere Spuren entdecken. Straßen mit den Namen der Reformatoren Luther und Amsdorf, des Bürgermeister Karsten Balder, des Patriziers Thiling und der Schulrektoren Thym und Nendorf halten die Erinnerung wach. Im Stadtarchiv werden wertvolle Dokumente aufbewahrt. Die Ausstellungen im Städtischen Museum und am Rammelsberg geben Einblicke. Nicht zuletzt zeugen die zahlreichen Balkeninschriften an Goslarer Bürgerhäusern von der Annahme des Evangeliums, so in der Bergstraße 53: „Allein got die ehre“.
(Auszug aus Helmut Liersch: REFORMATION!, Goslar 2018, 120 Seiten, 70 Farbbilder, 14 €; erhältlich im Goslarer Buchhandel und in der Verkausfsstellen der Goslarschen Zeitung)