„Vom Saulus zum Paulus“ – eine skandalöse Redensart

Am 25. Januar ist „Tag der Bekehrung des Apostels Paulus“ – Eine Predigt über Apostelgeschichte 9, 1-19a

Es ist sprichwörtlich geworden: das „Damaskus-Erlebnis“. Sie kennen das. Wenn es einen so richtig rumgerissen hat: ein Damaskuserlebnis. Wenn man urplötzlich erkennt, dass man völlig schief gelegen hat: ein Damaskuserlebnis.

Wenn man erkennt: ich war sehenden Auges blind! Ich war – beratungsresistent! Ich hatte mich verrannt! „Damaskus-Erlebnis“, ein falscher Weg geht abrupt zu Ende, ein neuer tut sich auf – und das nicht aus eigener Einsicht, sondern von außen her, geschenkt, unerwartet. Der Begriff gehört zur Allgemeinbildung. Und man glaubt zu wissen, was damit gemeint ist.

„Damaskus“ – kennt heute jeder und jede. Es ist die kriegsumtoste Hauptstadt von Syrien. Sie existierte schon vor 2000 Jahren – und sogar die Straße, auf der es passierte, gab es schon: sie heißt heute noch genauso: „die Gerade“. Was weiß man noch? Dass Saulus damals vom Pferd stürzte und blind auf der Erde landete… Aber halt! Schon zwei Fehler drin! Er wurde zwar vom hohen Roß runtergeholt – das aber nur sprichwörtlich. Es wird von Künstlern oft so dargestellt – aber von einem Pferd ist nicht die Rede … Passt aber gut ins Vorurteils-Schema: der stolze Jude Saulus, ein selbstgefälliger Pharisäer erlebt sein Damaskus: von einem Himmelslicht geblendet stürzt er von seinem hohen Roß – und liegt im Staub der Straße.

Genüsslich hat man diese Szene ausgedeutet als das Ende des jüdischen Glaubens. „Saulus“ heißt er ja – so wie jener erste König Israels, eine unglückliche, Verderben bringende Gestalt. Und nun wird „Saulus“ zum „Paulus“ – angeblich (so kennen wir´s). Und das würde bedeuten: Er legt seine jüdische Identität ab, er wird „Christ“. Eine Steilvorlage für alle, die den Juden Schlechtes wollten. Ein Baustein für den unsäglichen Antisemitismus. Und unbewusst geht das weiter, immer dann, wenn wir sagen: „er wurde vom Saulus zum Paulus“. Angeblich steht das so in unserer Geschichte. Von einem Namenswechsel ist daaber nicht die Rede. Und auch später erfolgt der nicht. Warum auch?

Dieses Sprichwort muss dringend aus unserem Wortschatz verschwinden! Es ist sachlich falsch, es ist antijüdisch. Es transportiert einen falschen Inhalt! Der Mann hatte einfach einen Doppelnamen! Er hieß Saulus – das war sein jüdischer Name. Aber bekanntlich war er auch römischer Bürger – und als solcher führte er den Namen Paulus. Das klang ähnlich – und so war das auch gewollt. Er blieb „Saulus“, auch nach dem Erlebnis von Damaskus, auch als Christ. In Kapitel 13, Vers 9 heißt es ausdrücklich: „Saulus aber, der auch Paulus heißt…“

Das ist deswegen so wichtig, weil auch der Inhalt dieser Bekehrung des Paulus häufig fehlgedeutet wird. – Man glaubt nur zu wissen, was damit gemeint ist! – So, als habe Paulus nun sein Jude-Sein abgelegt. Aus dem Juden Saulus wird der Christ Paulus – der nun nicht mehr die Christen bekämpft, sondern die Juden. Völlig falsch! Paulus bleibt Jude, so wie Petrus und die andern Jünger auch! Der Unterschied ist jetzt nur der: für Saulus/Paulus und die anderen Apostel ist der Messias gekommen – während man im Judentum weiterhin auf ihn hoffte und ihn erwartete – und erwartet. Es hat Saulus sehr geschmerzt, dass „seine Stammverwandten nach dem Fleisch“ (Römer 9,3) diese Botschaft nicht annehmen und statt dessen weiterhin das Gesetz des Mose als Heilsweg verstehen.

Aber er macht nicht den Fehler, seinen Glauben als eigene Leistung zu verstehen – und sich selber damit als besseren Menschen. Er sieht in allem Gottes Willen, sowohl in seinem „Damaskus-Erlebnis“ – als auch in dem Weg Israels. Er warnt uns: „Wenn du dich rühmst, so sollst du wissen, dass nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich“. Wir „Heidenchristen“ zehren vom Erbe Israels „und können daher den nichtglaubenden Juden gegenüber keinen Vorzug, kein eigenes Verdienst beanspruchen“ (Stuttgarter Erklärungsbibel zu Römer 11,17f.). „Sei nicht stolz, sondern fürchte dich!“ (11,20) Oder mit anderen Worten: „Komm runter vom hohen Ross!!“

Und damit sind wir bei dem entscheidenden Inhalt des „Damaskus-Erlebnisses“. Der Sinn liegt ja nicht in den äußeren Ereignissen – wie es die Redensart suggeriert. Für Paulus hat sich ein wesentlicher Punkt seiner Theologie radikal geändert, so, dass er zum Apostel der Völker wurde, Leid, Verfolgung, Tod auf sich nahm, um das, was er neu gehört hatte, zu verbreiten. Worin liegt dieser Punkt? Jedenfalls nicht in den genannten antijüdischen Fehldeutungen!

Paulus war Jude und er blieb Jude. Er hatte das, was er über Jesus gehört hatte und was die Christen (sie waren Juden!) erzählten, aber zunächst als Gotteslästerung empfunden. Das ändert sich dramatisch! Er lernt Christus als Lebendigen kennen und als den, der Menschen ohne Ansehen der Person zum Glauben ruft. Das Damaskuserlebnis! Wenn das stimmte, dann konnten Menschen nicht länger Gerechtigkeit erwerben und erarbeiten. Allein im Glauben, allein durch Christus konnte sie geschenkt werden. – Das Gesetz war nicht länger Heilsweg – wohl aber gute Gabe Gottes.

Damit ist es aber nicht getan. Die neue Erkenntnis musste nun verteidigt werden – auch im engsten Kreis der Jünger. Die Konflikte sind vorprogrammiert! Einer dieser Konflikte ist im neuen Testament geschildert, gleich zweimal. Wie kein anderer zeigt er, worum es geht; und das ist entscheidend bis heute. Wir streiten nämlich bis heute im Kern um dasselbe! – nicht nur in der Kirche – vor allem in der Gesellschaft: wovon leben wir – von unserer Leistung oder aus Gnade! Eine lebenswichtige Unterscheidung!

Also, wie war das damals? Paulus schließt sich der Gemeinde von Antiochien an (das liegt zwischen Syrien und Türkei). Dort lebt er mit den so genannten Heidenchristen zusammen wie einer von ihnen. Das jüdische Gesetz hält er nicht länger. Da kommt eines Tages Petrus zu Besuch aus Jerusalem. Die Judenchristen in Jerusalem haben längst akzeptiert, dass auch die Nichtjuden Zugang zum Heil in Christus haben. Aber noch ist unentschieden, ob sie auch in gleicher Weise leben können, ja ob sie in eine Gemeinde gehören. Der Besucher Petrus ist unsicher. Einerseits will er selbst an seiner jüdischen Lebensweise festhalten. Andererseits sieht er ein, dass es in der Christusgemeinschaft keine Unterschiede geben darf. Schließlich entscheidet er sich: er lebt wie die Gemeinde, die er besucht. Er sitzt mit ihnen an einem Tisch, isst und trinkt nach ihrer Weise und feiert mit ihnen Gottesdienst.

Das wird schlagartig anders, als aus Jerusalem Abgesandte der Leitung kommen. Vielleicht sollen sie den Petrus zur Ordnung rufen. Jedenfalls sagen sie etwa: Wie kannst du, Petrus, ein geborener Jude, mit Menschen an einem Tisch sitzen, die unsere Speisevorschriften nicht beachten? Gewiss gehören wir mit ihnen in Christus zusammen, aber im Leben sind wir getrennte Leute. Gott hat uns Juden nun einmal den Weg der Gerechtigkeit gezeigt. Und auch als jüdische Christen müssen wir uns daran halten! Petrus bekommt Angst. Er sondert sich also ab und schließlich folgen ihm die anderen geborenen Juden, die es in Antiochien gibt. Sie sitzen für sich beim Mahl, sie sitzen für sich beim Gottesdienst.

Das hält Paulus nicht länger aus. Er ist ja auch ein geborener Jude. Er respektiert es, wenn Christen aus seinem Volk am Gesetz der Vorfahren festhalten wollen – also Juden bleiben. Aber nun wittert er hinter solchem Verhalten den Anspruch, auch die früheren Heiden müssten das Gesetz übernehmen, um Gott ganz nahe zu sein. Also: Leistung vor Gottesgnade! Das Gesetz als Heilsweg. Und darum hält er dem Petrus entgegen:

Wir, die wir Juden von Geburt und keine Sünder aus den Heiden sind, wir wissen gleichwohl, dass kein Mensch durch Tun des Gesetzes gerecht wird, sondern nur durch den Glauben an Christus Jesus. Und so sind wir dann zum Glauben an Christus Jesus gekommen, um aus dem Glauben an Christus gerecht zu werden und nicht durch das Tun des Gesetzes.

Das ist die berühmte Geschichte des Streites zwischen Paulus und Petrus. Dieser Streit hat in Antiochien noch lange kein Ende. Auch uns, liebe Gemeinde, mutet die Bibel die Auseinandersetzung um das rechte Leben vor Gott zu. Was sie dazu sagt, ist eine geballte theologische Ladung. Unsere ganze Kirche hängt daran. Darum wollen wir nicht müde werden, sie immer von Neuem zu buchstabieren.

Denn: in Form eines „Damaskus-Erlebnisses“ wird uns diese Erkenntnis nicht zugemutet. Obwohl einem das manchmal eingeredet wird“ „wann hattest du deine Bekehrung…“ Es kann lange dauern, Jahre, ein halbes Leben… – man „hat“ es auch nicht immer. Manchmal spülen die Verletzungen des Alltages alles fort, lassen einen zweifeln an einer Gerechtigkeit Gottes – eben weil man sie nicht spürt, nicht festhalten kann… Dann scheint es einem so, dass es doch auf uns selber ankommt… Auch Paulus wusste von solchen Anfechtungen, wusste vom „schon und noch nicht“, vom „simul…“, vom Leiden der Kreatur, von der erst endzeitlichen Vollendung – alles theologisch hoch wichtige Erkenntnisse, die allesamt auf eines hinauslaufen: es geschieht nicht durch uns, sondern durch Ihn. Unsere Haltung kann nur Vertrauen sein.

Tausend Bedenken gibt es gegen diese Freiheit des Glaubens. Paulus weiß das; aber er bleibt dabei: Du bist ein fehlerhafter, zweifelnder, suchender Mensch; und zugleich bist du gerecht vor Gott. Ein Wunder! Lass kein Aber an dich heran. Keinen Vorbehalt, keine Bedingung, denn von Gott kommt das alles nicht. Bleibe bei diesem Urteil Gottes und bestehe darauf! Amen.

Wer´s nicht glaubt, kann es gern bei dem großen Neutestamentler Eduard Lohse nachlesen (s. Abbildung oben, S. 19):

 

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