Nach genau 500 Jahren: Fund eines bisher unbekannten Werbeplakates in der Marktkirchen-Bibliothek Goslar!
Symbol der Wirkung von Luthers 95 Thesen im Jahre 1517: Ablasswerbung des Erzbischofs wird zu Altpapier!
Über 200 Bände der Bibliothek des Priesters Andreas Gronewalt in Halberstadt kamen 1535 nach Goslar als Grundausstattung für die reformatorische Marktkirchen-Bibliothek. Diese wurde in den vergangenen vier Jahren von dem Reutlinger Reformationshistoriker Prof. Ulrich Bubenheimer und von dem Beauftragten für die Marktkirchen-Bibliothek Propst i.R. Helmut Liersch gemeinsam erforscht. Gronewalt hatte als Notar auch für Erzbischof Albrecht von Brandenburg gearbeitet. Das war in Halle, wo sich Albrechts Lieblingsresidenz befand. In der Zeit Luthers war er Erzbischof von Magdeburg und von Mainz sowie Bischof von Halberstadt. Gronewalt hatte ein nicht mehr benötigtes Ablassplakat seinem Buchbinder in Halberstadt gegeben. Der zerschnitt den Plakatdruck in mehrere Teile und verwendete diese bei der Herstellung von zwei Bucheinbänden. Nach 500 Jahren wurden diese nun entdeckt und in ihrer Bedeutung für die Reformationsgeschichte erkannt.
Die Entdeckung
Ulrich Bubenheimer fielen in der Goslarer Bibliothek drei Fragmente auf, die in Bucheinbänden auf der Textseite verklebt waren. Zunächst waren nur wenige lateinische Stichworte wie „Moguntini“ (Mainz) sichtbar. Sie legten die Vermutung nahe, der Text könnte aus der Kampagne Albrechts für den Petersablass stammen. In der Restaurationswerkstatt der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel wurden daraufhin die Papierfragmente von den Holzdeckeln des Einbandes abgelöst (dabei allerdings in den Büchern belassen). Die virtuelle Zusammenfügung der Fragmente bestätigte: Es handelt sich um Teile eines 1516 entstandenen Plakatdrucks, in dem in lateinischer Sprache für den Ablass zugunsten des Baus des Petersdoms in Rom geworben wird. Etwa zwei Drittel des Textes sind erhalten. Dieser Druck war in der Reformationsforschung bisher unbekannt!
Der Inhalt
Bubenheimer rekonstruierte die Überschrift – „Zusammenfassung (Summarium) des allervollkommensten Ablasses, großzügig bewilligt für die Basilika des Apostelfürsten“. Mit „Apostelfürst“ ist Petrus gemeint. In 22 Punkten werden die in der Ablassbulle Papst Leos X. gewährten, angeblich außergewöhnlichen „Gnaden“ herausgestrichen, an denen der Erwerber von Ablassbriefen Teil haben sollte, unter anderem durch Vergebung aller Sünden nach Ablegung der Beichte. Auch bereits verstorbene Verwandte und Freunde konnten angeblich aus dem Fegefeuer erlöst werden. Der siebzehnte Punkt auf dem jetzt in Goslar aufgetauchten Ablassplakat lautete: „Wer auch immer widerspricht, soll mit kirchlicher Zensur und anderen Rechtsmitteln [belangt werden].“ Diese Strafandrohung erwies sich als Papiertiger, als Luther dem Erzbischof in einem Brief widersprach. Luther stieß sich als Theologe insbesondere an der Vorstellung, dass der Mensch durch die Ablassgnade mit Gott versöhnt werde. Aber es hatten auch einzelne Obrigkeiten Albrecht die Durchführung der Ablasskampagne in ihren Gebieten verweigert. Die Inflation der Ablässe, aber auch mögliche Folgen für die Wahrung der Rechtsordnung waren Steine des Anstoßes. So heißt es im Summarium zum Beispiel, dass Diebe mit dem Ablasskommissar vereinbaren können, einen Anteil des von ihnen entwendeten Gutes in die Ablasskiste zu geben und dadurch „von der Rückerstattung befreit sind und darüber hinaus nichts zurückgeben müssen“. Das war anstößig!
Albrechts Werbekampagne
Albrecht eröffnete die Ablasskampagne persönlich AM 30. NOVEMBER (1. ADVENT) 1516 in Mainz. Hier hatte er für die mitwirkenden Ablassunterkommissare, Beichtväter und Prediger eine Instruktion drucken lassen, in der bereits auf das jetzt entdeckte Summarium hingewiesen wurde: „Und an der Kirche, wo das Kreuz errichtet wird, soll eine Kopie der Bulle, das Summarium, das päpstliche Wappen und anderes, was wir drucken ließen, ausgehängt werden.“ Als Drucker des Plakats identifizierte Bubenheimer den Leipziger Buchdrucker Melchior Lotter d. Ä. Dieser druckte auch eine zweite, umfangreichere Instruktion Albrechts, nachdem im Januar 1517 Johannes Tetzel als Ablassunterkommissar angestellt worden war. Auch nach dieser zweiten Instruktion hat das Summarium seine Rolle im Ablassritual: Die Ablassprediger werden angewiesen, in ihren Predigten jeweils mindestens drei oder vier Punkte „aus dem Summarium der Bulle auszulegen und zu verherrlichen, damit nicht durch das Vergessen so großer Vergünstigungen das Volk der Ablässe überdrüssig wird“. Um solchem Überdruss zuvorzukommen, wurden noch zwei weitere Ablassplakate bei Lotter gedruckt, zum einen eine Übersetzung des Summariums in die deutsche Sprache, zum anderen der vollständige lateinische Wortlaut der päpstlichen Ablassbulle. Von letzteren zwei Plakaten wurden vor hundert Jahren in der Domkirche Stora Tuna in Mittelschweden kleine Fragmente in einem Chormantel gefunden, der mit diesem Altpapier versteift worden war. Diese Funde wurden seither in der Ablassforschung nicht weiter beachtet.
Luthers Einwand
Zum Reformationstag am 31. Oktober 1517 fällt uns heute zuerst ein, Luther habe damals 95 Thesen gegen den Ablass in Wittenberg ausgehängt. Folgenschwerer jedoch als der Aushang eines Disputationszettels war, dass Luther am selben Tag die Thesen per Brief an Albrecht von Brandenburg schickte, den damals höchstrangigen geistlichen Kurfürsten in Deutschland. Luther wandte den Inhalt seiner Thesen sofort auf Albrechts Ablassgeschäft selbst an. Der Mönch forderte nämlich Albrecht, auf, er solle die (oben genannte) umfangreiche Instruktion, die er für das Personal seiner Ablasskampagne hatte drucken lassen und die in Luthers Hände gelangt war, „restlos aufheben“. Mit dem Fund in der Goslarer Marktkirchen-Bibliothek wird nun bekannt, dass es über die internen Instruktionen hinaus auch eine breite öffentliche Plakatwerbung gab.
Der finanzielle Hintergrund der Ablass-Kampagne
Was war der Hintergrund von Albrechts „heiligem Geschäft“ mit dem Ablass? Albrecht besaß seit 1513 bereits zwei Bistümer als Erzbischof von Magdeburg und Verwalter des Bischofsstuhls von Halberstadt, als ihm Papst Leo X. 1514 noch das Erzbistum Mainz verlieh. Dafür musste Albrecht jedoch 30.000 Gulden bezahlen, die ihm das Bankhaus Fugger vorstreckte. Zur Schuldentilgung handelten die Diplomaten im Hintergrund ein Ablassgeschäft aus. In einer Bulle ernannte der Papst im Jahr 1515 Albrecht zum Ablasskommissar, der auf acht Jahre in seinen drei Diözesen sowie in den Gebieten des Hauses Brandenburg einen „allervollkommensten Ablass“ anbieten konnte. Dessen finanzieller Ertrag sollte zur Hälfte an das Bankhaus Fugger zur Tilgung von Albrechts Schulden, zur anderen Hälfte nach Rom zugunsten des Neubaus des Petersdomes in Rom fließen. Die Gläubigen erfuhren davon nur den zweiten Teil. Mit der Durchführung der Ablasskampagne beauftragte Albrecht zwei Unterkommissare, von denen der aktivste der Leipziger Dominikaner Johann Tetzel war, ein bereits einschlägig bewährter Ablassprediger. Um die Nachfrage nach dem sogenannten „Petersablass“ zu steigern, wurde dieser mit pompösen Inszenierungen an den Orten der Ablasspredigt eingeführt. Zudem wurde dieser Ablass durch Einsatz des Buchdrucks umfassend beworben. Nachdem unter Luthers Angriffen Albrechts Ablasskampagne vorzeitig zum Erliegen kam, waren diese Drucke nur noch als wertvolles Altpapier geschätzt.
U.B. / H.L. 11/16