Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. 1.Mose 8,20-22
Am Donnerstag, liebe Gemeinde, da gab es ihn wieder, den Kassenschlager. Vor Jahren hatte er alle Zuschauerrekorde gebrochen. Ein Film der Superlative. Prähistorischen Stechmücken werden Zellen entnommen, die sich vom Blut der Dinosaurier ernährt hatten. Jahrmillionen hatten sie in Bernstein überdauert. Der größenwahnsinnige Milliardär John Hammond lässt aus dem Erbgut echte Dinosaurier klonen. Was folgt, ist eine Katastrophe, denn die Tiere laufen Amok: „Jurassic Park“, ein Film, der Geschichte machte. Er löste die „Dinosaurier-Welle“ aus. Bonbons, Kekse, Eis, alles gab es mit Dino-Aufdruck, Sticker, Videos, Computerspiele, Figuren in jeder Größe: Dinosauriere, wohin man schaute. Selbst im Konfirmandenunterricht wurden Sammelbilder getauscht. „Hast du den Tyrannosaurus rex doppelt, ich gebe dir dafür den Velociraptor.“ Und die Sache ist nicht vorbei! Vielleicht wird es hier bei uns in Goslar-Oker einen Dino-Park geben: denn dort wurden ja Dinoknochen gefunden.
Wir wissen: sie sind und bleiben ausgestorben. Wir haben vorhin als Lesung etwas aus der Noah-Geschichte gehört. In der Arche hatte er alle Tierarten gerettet. Von Dinos ist da nicht die Rede – und angesichts der schieren Größe hätten sie gar nicht da rein gepasst. Sie waren eben längst weg, als die Sintflutgeschichte entstand. Man kannte sie nicht mehr. Ausgestorben. Niemand weiß genau, wann und wie das passierte. Jedenfalls ist es viele Millionen Jahre her. Und manche Wissenschaftler sagen: sie waren einfach zu groß geworden, fanden keine Nahrung mehr, haben ihre eigene Umwelt zerstört. Vielleicht war es ja so. Jedenfalls – und darauf will ich hinaus: im übertragenen Sinne gibt es sie wieder, Dinosauriere, also Lebewesen, die zu gefräßig geworden sind und so die Welt zerstören. Sie haben auf Noahs Arche überlebt. Die Menschen! Wir. Jeder weiß – und überall ist es zu lesen und zu hören: wenn die ganze Welt unseren „westlichen“ Lebensstil imitieren würde, dann bräche die Erde zusammen. Also: das, was wir angeblich wollen, dass es nämlich allen Menschen gut geht, das wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Jedenfalls, wenn es ihnen allen so ginge wie uns. Jedem ein Auto, für alle täglich eine warme Dusche, jedem mehr als genug zu essen, jedem ein eigenes Zimmer – das alles viele Milliarden mal. Die Erde wäre am Ende. Und es gibt nicht wenige Wissenschaftler, die sagen: so wird es auch kommen.
Dennoch: unsere Welt besteht, nach wir vor. Und das, obwohl Menschen nicht erst heute über ihre Verhältnisse leben. Genau genommen ist das ein uraltes Problem. Schon auf den ersten Blättern der Bibel klagt Gott selber: „Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde … , denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe.“ (1. Mose 6,7). Gott hatte gesehen, dass die Menschen sehr boshaft waren und letztlich immer wieder Dinge taten, die nicht in Ordnung waren. Sie hatten ihr eigenes Ende also selber verschuldet. Sie fügten sich nicht in die Ordnung der Schöpfung hinein. Sie zerstörten, sie töteten, sie maßten sich an, Herren zu sein über die Schöpfung, sie nahmen sich mehr als ihnen zustand, sie beuteten die Armen aus.
Wenn das nun alles so ist, dann liegt natürlich eine Frage auf der Hand. Die Frage nämlich, warum wir dann noch leben. Wenn der Mensch böse ist von Jugend auf, wenn er sich wie ein Dinosaurier verhält und einfach nicht mehr in diese Welt passt, warum gibt es ihn dann noch? Zumal Gott ihn doch vernichten wollte. So fragten sich die Menschen im Alten Israel, damals, in der Zeit des Königs Salomo. Das ist fast 3000 Jahre her. Es ging den Menschen äußerlich sehr gut. Aber sie waren nicht dankbar, sondern sie wurden immer anspruchsvoller. Die Armen blieben auf der Strecke. Die Reichen wurden reicher, die Armen ärmer. Wo soll das hinführen, so dachten die Menschen, die etwas weiter denken konnten. Wird Gott das mit sich machen lassen?
Nun könnten wir heute sagen: diese Frage stellt sich nicht mehr. Wir glauben nicht daran, dass Gott unmittelbar in das Weltgeschehen eingreift. Wir durchschauen die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt, wir haben gelernt, die Dinge zu steuern, die Materie zu beherrschen. Vor gut 100 Jahren sagte Werner von Siemens ganz im Sinne seiner Zeitgenossen: „Es liegt kein Grund vor, an der Fortdauer … der naturwissenschaftlichen Entwicklung zu zweifeln“, und er versicherte seinen Zuhörern, dass die Wissenschaft die Menschen glücklicher und mit ihrem Geschick zufriedener machen werde. Bis heute ist dieser Glaube im Kern ungebrochen. Noch immer wird uns massiv eingeredet, dass wir dank unserer Tüchtigkeit alles verbessern können und eine immer intensiver in Luxus und Wohlstand lebende Menschheit schaffen können. Dabei ahnt man doch, dass es nicht mehr lange gut gehen kann. Es ist doch höchste Zeit, dass wir leben lernen, ohne die Natur zu plündern!
Also, kurz gesagt: die Frage bleibt. Warum leben wir noch, warum besteht die Welt, obwohl wir Menschen – damals wie heute – uns nicht in Übereinstimmung mit Gott und seiner Schöpfung verhalten? Warum geht es uns nicht wie den Dinosauriern, die sich zuviel genommen hatten? Die Antwort der Bibel ist ziemlich verblüffend. Sie sagt: das liegt daran, dass Gott seine Meinung geändert hat! Ursprünglich hatte er ja gesagt: „Ich will die Menschen vertilgen“, „ihr Dichten und Trachten ist böse“. Und dann war es auch ganz schlimm gekommen: die Sintflut brach über die Erde herein, eine schreckliche Katastrophe. Wie gesagt: diese Geschichte erzählte man sich seinerzeit im Alten Israel, als König Salomon regierte, vor fast 3000 Jahren. Damals, als die, die etwas weiter denken konnten, sich fragten: wie wird das weitergehen, wenn die Menschen so hemmungslos leben, gegen die Natur, dagegen den Willen Gottes. Dann erinnerten sie sich an die Katastrophe der Sintflut. Damit wollten sie die Menschen warnen. Aber sie verschwiegen auch nicht, wie es weiterging: Die Sintflut war nicht das endgültige Ende. Noah wurde gerettet, mit ihm seine ganze Sippe – und die vielen Tierarten. Und sowohl Noah als auch Gott taten jeweils etwas ganz Bedeutendes. Davon erzählt der heutige Predigttext:
„Noah baute dem Herrn einen Altar“ und Gott „sprach in seinem Herzen“: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Gott ändert seine Meinung! Er wird gnädig und barmherzig. Leben sollen die Menschen trotz ihrer Bosheit. Gott rettet die Menschheit – und zwar ausschließlich, weil er es so will. Gnade. Gottes Gerechtigkeit ist „unlogisch“!
Wir haben eben Esther getauft. Ich habe am Taufbecken etwas ausgespart: das Sinflutgebet bzw. eine Betrachtung zum Taufwasser, die sich auf Noah und die Sintflut bezieht. Das hole ich jetzt nach: „Das Wasser, mit dem wir taufen, ist zugleich Zeichen des Todes und des Lebens. Ohne Wasser gibt es kein Leben, im Wasser können Menschen versinken. Die Sintflut brachte Gottes Gericht über die Sünde der Menschen. Noah aber fand Gnade und wurde errettet aus der Flut.“ Und: „So soll im Wasser der Taufe alles, was uns von Gott trennt, untergehen. Aus dem Wasser der Taufe soll der neue Mensch auferstehen, der mit Christus lebt.“ Wir werden damit erinnert an Jesus Christus: auch er ein Einzelner, durch den Gott die Sünde der Menschen und ihre Folgen überwindet. „Durch die Gerechtigkeit des Einen ist für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen“, so fasst Paulus das im Römerbrief (5,18) zusammen. Es liegt also nicht an unserer Tüchtigkeit, nicht an unserem Eifer, die Welt zu verstehen und in den Griff zu bekommen – nein, unsere Rettung liegt allein an der Barmherzigkeit Gottes. Und unser Versagen bringt Gott nicht von seiner Liebe zu uns ab.
Noah bringt Gott daher ein Opfer. Das heißt: er dankt ihm. Er hat verstanden, was das wesentliche am Leben ist: auf Gott zu vertrauen. Er allein kann helfen, wir können uns das weder verdienen noch selber schaffen durch welche Wissenschaften und Künste auch immer. Gott danken, ihm vertrauen. Diese Botschaft will bei uns ankommen. Bei uns, die wir uns wie Dinos über diese Ede bewegen – und doch wissen, was gut ist. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“, so heißt der Wochenspruch; und er geht weiter: „…Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,8). Gott sei Dank gibt es sie, diese Möglichkeit: umzukehren. Sich einzuordnen in den Rhythmus der Natur, in die natürliche Ordnung der Welt. Die Spielregeln Gottes zu akzeptieren und danach zu leben. Und dankbar zu sein, dankbar, dass wir leben, dankbar, dass neues Leben entsteht, dankbar, dass Gottes Gnade jeden Tag neu ist.
Das Noahgefühl, das Gefühl nach der Sintflut. Viele Menschen erleben es in diesen Jahren angesichts der Fluten – hoffentlich irgendwann auch die Überlebenden in Mittelamerika und in Pakistan. Aber auch, wer nicht direkt von den Naturgewalten bedroht war, kann es kennen: dieses Gefühl, noch einmal davon gekommen zu sein. Nach dem Krieg, nach Flucht und Vertreibung. Nach einer schweren Operation, nach einer langen Krankheit, nach einer seelischen Krise, nach überstandener Trauer: dieses tiefe Glücksgefühl, dass es dennoch weiter geht, diese Einsicht, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Diese Entschlossenheit, jetzt neu anzufangen, die alten Fehler nicht mehr zu machen. Also dieses Gefühl, wie Noah und seine Familie es gehabt haben müssen, als sie aus der Arche heraustraten, als sie wieder Land betreten durften, als sie die Pflanzen wachsen sahen, so wie zum ersten Mal, als sie die Schönheit der Welt neu entdeckten. … Vielleicht kennen Sie das auch, liebe Gemeinde, wie dann der Dank aus dem Herzen quillt, wie da neue Kräfte frei werden. Ich wünsche Ihnen, dass sie das erleben, denn Sie brauchen es bestimmt – und auch unsere Welt als ganze. Amen
20. Sonntag nach Trinitatis 2005,
Liebenburg, mit Taufe von Esther Glufke