Ein wenig beachteter Aspekt in der Sache Stiftskirche St.Simon und Judas Goslar ist die Tatsache, dass nach wie vor ein erhebliches Vermögen aus dem historischen Stiftungskapital vorhanden ist. Tillmann Lohse schreibt am Ende seines Werkes „Die Dauer der Stiftung“ (2011): „Denn solange das Wissen um den ursprünglichen Stifterwillen Heinrichs III. und seine Reformulierung durch Christian Wilhelm von Dohm in Goslar lebendig bleibt, besteht die Chance, dass nachlebende Generationen in diesem Sinne tätig werden – zumal das nach wie vor vorhandene Stiftungskapital ja durchaus Gestaltungsspielräume eröffnet“ (S. 214). Der unter Vorsitz des Oberbürgermeisters der Stadt verwaltete Stiftsgüterfonds und die Geschichte seiner umstrittenen Umwidmungen sollte eigentlich eine ständige Mahnung sein, den Stifter und dessen Willen – statt ihn wie damals zu verraten – im Gedächtnis zu behalten, auch im Sinne einer würdigen „Wiedergutmachung“ des in traumatischer Erinnerungskrypta von Goslar verankerten Abrisses.
So hatten manche – offenbar sehr naiv – unseren OB verstanden, als er im Grußwort zum Band „Kaiser Heinrich III.“ 2018 schrieb: „Und auch Goslar hat ihm so viel zu verdanken – führte er doch die Stadt mit der Errichtung der Pfalz als Regierungsort von einer bescheidenen Siedlung hin zur Reichsmetropole des 11. Jahrhunderts und es stellt sich die Frage, was Goslar heute ohne Kaiser Heinrich III. wäre. Genug Gründe also für eine gebührende Ehrung des fast vergessenen Herrschers“. Vielleicht hätte einem schon bei Erscheinen dieses Grußwortes auffallen müssen, dass die Stiftskirche in dieser ehrenvollen Erinnerung geflissentlich unterschlagen wird! Die Motive liegen im Dunkeln – und verwunderlich ist auch das Schweigen mancher Mitstreiter von 2007, die damals unbedingt den Dom wieder erstehen lassen wollten, in welcher bescheidenen Form auch immer – die Entwürfe aus dem Wettbewerb zeigen verschiedenste Möglichkeiten, nur der Siegerentwurf nicht.
Dass es jetzt eine Art erneuter und vertiefter Bestattung geben soll, die im Gegensatz zur gegenwärtigen Situation noch nicht einmal mehr den Grundriß zeigt, gereicht den Befürwortern dieser „Lösung“ nicht zum Ruhm. Die Wettbewerbsbedingung, den Grundriss zu thematisieren, wird damit, im Gegensatz zu vielen anderen Entwürfen, eindeutig unterlaufen. In den letzten Monaten haben wir lernen müssen, dass es zur Zementierung einer unangemessenen Idee (Lupe, Stange, Kreis, „bedeutungsvolle Wiese“) offenbar reicht, an den Haaren herbeigezogene Behauptungen und Deutungen nur oft genug und variantenreich zu äußern. Besonders wirkungsvoll scheint es zu sein, auf berechtigte Einwände erst gar nicht einzugehen und statt dessen zu Begriffen wie „Nörgler“ oder „Geschichte als Mumie“ zu greifen. Noch haben wir die Hoffnung nicht verloren, dass die Damen und Herren des Rates souverän entscheiden. Sie dürfen sicher sein, dass man ihrer Behandlung des Stiftskirchenareals auch in ferner Zukunft gedenken wird.
Nicht nur der immer wieder zitierte Heine hat den Umgang Goslars mit dem „Dom“ beklagt. Im Spätjahr 1817, also in zeitlicher Nähe vor dem in Aussicht genommenen Abriss bereiste Johann Gustav Büsching, Professor für mittelalterliche Kunstgeschichte, die Stadt. Was er sah, erschütterte ihn: „Wie wird das Hoffen eines jeden getäuscht, der mit frohen Erwartungen diese Kirche, einer der allerältesten Deutschlands, entgegen eilt! Schändlicher ist nicht leicht ein Gotteshaus von so bedeutender Wichtigkeit behandelt worden.“ Das muss ja so nicht weitergehen!