Gedanken zum 12. Sonntag nach Trinitatis
In vielen Kirchen sind sie zu sehen, die beiden Herren. Auf der Briefmarke aus Liechtenstein stehen sie eng beieinander. Meist aber stehen sie in weitem Abstand voneinander, der eine links, der andere rechts. Man könnte meinen, sie hätten heute noch etwas gegeneinander. Petrus und Paulus. Petrus trägt meist das Buch in der einen Hand – und die Schlüssel in der anderen. So als wolle er sagen: Nur ich öffne die Tür zum Glauben und zum Himmelreich! Paulus zeigt dem Petrus das Schwert als wollte er sagen: Nur ich führe das Schwert des Geistes, nur ich kenne die Wahrheit!
Von diesem Streit, in dem es um Biegen und Brechen geht, erzählt Paulus im Galaterbrief. Er, der geborene Jude, hatte Christus als den kennen gelernt, der Menschen ohne Ansehen der Person zum Glauben ruft. Als er dem auferstandenen Christus vor Damaskus begegnet war und sich wieder vom Boden erhob, da wusste er, dass sein bisheriges Leben falsch war. Wenn der wegen Gotteslästerung verurteilte Jesus lebte, dann konnte das bei Gott nur das Höchste zum Ziel haben: unsere Gerechtigkeit. Nicht länger konnten Menschen Gerechtigkeit erwerben und erarbeiten. Allein im Glauben, allein durch Christus konnte sie geschenkt werden.
Paulus schließt sich der Gemeinde von Antiochia an. Dort lebt er mit den so genannten Heidenchristen zusammen wie einer von ihnen. Das jüdische Gesetz hält er nicht länger. Da kommt eines Tages Petrus zu Besuch aus Jerusalem. Die Judenchristen in dort hatten längst akzeptiert, dass auch Nichtjuden Zugang zum Heil in Christus haben. Aber noch ist unentschieden, ob sie auch in gleicher Weise leben können, ja, ob sie in eine Gemeinde gehören. Der Besucher Petrus ist unsicher. Einerseits will er selbst an seiner jüdischen Lebensweise festhalten. Andererseits sieht er ein, dass es in der Christusgemeinschaft keine Unterschiede geben darf. Schließlich entscheidet er sich: Er lebt wie die Gemeinde, die er besucht. Er sitzt mit ihnen an einem Tisch, isst und trinkt nach ihrer Weise und feiert mit ihnen Gottesdienst.
Das wird schlagartig anders, als aus Jerusalem Abgesandte der Leitung kommen. Vielleicht sollen sie den Petrus zur Ordnung rufen. Jedenfalls sagen sie etwa: Wie kannst du, Petrus, ein geborener Jude, mit Menschen an einem Tisch sitzen, die unsere Speisevorschriften nicht beachten? Gewiss gehören wir mit ihnen in Christus zusammen, aber im Leben sind wir getrennte Leute. Gott hat uns Juden nun einmal den Weg der Gerechtigkeit gezeigt. Und auch nach Christus müssen wir uns daran halten! Petrus bekommt Angst. Das ist ja eine alte Schwäche von ihm. Er sondert sich also ab und schließlich folgen ihm die anderen geborenen Juden, die es in Antiochia gibt. Sie sitzen für sich beim Mahl, sie sitzen für sich beim Gottesdienst.
Das hält Paulus nicht länger aus. Er ist ja auch ein geborener Jude. Er respektiert es, wenn Christen aus seinem Volk am Gesetz der Väter festhalten wollen. Aber nun wittert er hinter solchem Verhalten den Anspruch, auch die früheren Heiden müssten das Gesetz übernehmen, um Gott ganz nahe zu sein. Und darum hält er dem Petrus entgegen: Es ist ganz und gar unmöglich, dass durch äußere Formen und Vorschriften doch wieder Unterschiede gemacht werden unter den Christen! Wenn du dich absonderst, dann sieht das so aus, als gäbe es nur einen richtigen Zugang zu Gott, nämlich den durch das jüdische Gesetz. Wenn das aber stimmt, dann ist Christus für nichts und wieder nichts gestorben. Außerdem bist du ein Heuchler, Petrus. Solange du allein warst, hast du gelebt wie diese Gemeinde. Jetzt aber gibst du dem Druck nach, jetzt willst du die andern zwingen, nach deiner Art zu leben.
Dann appelliert Paulus an die bessere Einsicht des Petrus. Er appelliert an sein Herz, das doch auch von Jesus ergriffen ist. Er sagt:
Wir, die wir Juden von Geburt und keine Sünder aus den Heiden sind, wir wissen gleichwohl, dass kein Mensch durch Tun des Gesetzes gerecht wird, sondern nur durch den Glauben an Christus Jesus. Und so sind wir dann zum Glauben an Christus Jesus gekommen, um aus dem Glauben an Christus gerecht zu werden und nicht durch das Tun des Gesetzes.
Das ist die berühmte Geschichte des Streites zwischen Paulus und Petrus. Dieser Streit hat in Antiochia noch lange kein Ende. Auch uns mutet die Bibel die Auseinandersetzung um das rechte Leben vor Gott zu. Was sie dazu sagt, ist eine geballte theologische Ladung.
Was meint Paulus? Er behauptet: Im Glauben an Jesus Christus erfährt der Mensch, dass Gott ihn ohne Vorbedingungen, ohne Leistungen angenommen hat. Umsonst. Einfach so. Gratis. Aus reiner Gnade. Einfacher: Gott sagt ja zu uns. Er hält zu uns, die wir im Unrecht sind. Da ist keine Schuld, kein Zweifel, kein Versagen, die uns von Gott trennen könnten. Gott ist kein Krämer, der sagt: Willst du dies von mir haben, so musst du das und das dafür leisten. Gott ist kein Vater, dessen Kinder sich durch gute Zensuren Liebe erwerben müssen. Er erlaubt nicht, dass sich das Gesetz eines Staates, einer Religion, einer Gesellschaftsordnung, einer Kirche, ja das Gesetz unserer Natur, zwischen sich und uns schiebt. Er spricht uns gerecht und verzichtet dabei auf einen Vertrag, auf Leistungskontrolle, auf Verhaltensübungen.
Das alles, sagt Paulus, lässt sich ganz streng nur an Jesus Christus ablesen. Denn der hat keinen Menschen ins Abseits gestellt. Der hat sogar seinen Mördern vergeben, die Feinde geliebt, Fremde zu Schwestern und Brüdern erklärt. Für diese Art der Liebe hat er am Kreuz mit seinem Leben gebürgt.
Solche klaren Worte müssen seitdem mit dem Widerspruch leben. Der kommt von außen. Der kommt aber vor Allem von innen, aus der Gemeinde selbst. Damals konnte er sich auf einen berühmten Namen berufen. Auf den des Petrus. Der Widerspruch sagt: So glatt geht das nicht! Das ist viel zu einfach. Es gibt doch Unterschiede. Es gibt doch ein Mehr und ein Weniger. Mehr Glaube und weniger Glaube, mehr Liebe und weniger Liebe. Es gibt schlechtere und bessere Menschen. So viel Freispruch, so viel Freiheit darf man den Leuten nicht zutrauen. Du Paulus, machst Gott zu einem zwar gutgläubigen, aber ahnungslosen Mann. Und Christus stellst du geradezu in den Dienst der Sünde. Denn nun muss er durch seine Liebe alles Unrecht zudecken, das Menschen sich weiter antun. Das kann doch nicht wahr sein! Du hast ja keinen Maßstab mehr. Die Menschen können auch nach Christus nicht darauf verzichten, dass sie in einem festen Rahmen leben. Schau dir die Welt an, wie weit sie es mit der Freiheit gebracht hat.
Der Widerspruch sagt also: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer die Gerechtigkeit zuspricht, der muss auch Forderungen erheben. Wenn nicht vorher, dann eben nachher. Kein Glaube also ohne Werke. Keine Gnade also ohne ein Leben nach Gottes Ordnung. Keine Heil also ohne Heiligung. Keine Gottesnähe also ohne Bekehrung.
Aber Paulus hält dem Widerspruch stand: Wenn ihr vor der Freiheit Angst habt, die Christus euch zumutet, dann ist er umsonst gestorben. Denn dann führt ja das Gesetz auch ohne ihn zum Heil. Dann braucht man ja nur ein „anständiger Mensch“ zu sein… Ich weiß wohl, dass man Freiheit missbrauchen kann. Missbrauchen wie jede Gabe und jedes Geschenk. Aber das spricht nicht gegen die Freiheit. Ich, Paulus, glaube felsenfest daran, dass ein Mensch, der Gottes Liebe erfahren hat, ein anderer Mensch, ein neues Geschöpf geworden ist. Ich gehe gewiss davon aus, dass die erfahrene Liebe Menschen verwandelt. Sie lassen ihre Vergangenheit hinter sich. Sie brechen aus aus ihren alten Gehäusen. Sie sind unterwegs zu dem Bild, das Gott sich vom Menschen gemacht hat. Sie sind Teilhaber an seiner menschenfreundlichen Art – durch Jesus. Für solche Menschen gilt nur noch ein Satz: „Liebe – und tu, was du willst!“
So etwa hat Paulus dem Petrus auf seinen Einwand geantwortet. So antwortet er auch dem Widerspruch aus unseren eigenen Reihen, der vor der übergroßen Freiheit des Glaubens schwere Bedenken hat. Die Antwort heißt: Du bist ein Sünder und zugleich gerecht. Lass kein Aber an dich heran. Keinen Vorbehalt, keine Bedingung, denn von Gott kommen sie nicht. Bleibe bei diesem Urteil Gottes und bestehe darauf! So bleibt die Rechtfertigung allein der Grund unseres Lebens.
Wo bleiben dann die guten Werke? Der Kirchenvater Augustin hat gesagt: Wer sich von Gottes Wärme entzünden und von seinem Licht erleuchten lässt, der lässt sich von ihm auch die guten Werke schenken. Mehr gibt es nicht zu sagen über die guten Werke.
Predigt über „Peter und Paul“ – Galater 2, 16-21